VW e-Crafter: Durchbruch in der Elektromobilität?
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RobGal -
22. September 2018 um 11:59 -
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Elektro-Transporter werden „den entscheidenden Beitrag zur Durchsetzung der Elektromobilität in den Städten“ leisten, ist sich Heinz-Jürgen Löw, Vertriebsvorstand von VW Nutzfahrzeuge, sicher. Was jahrelange Bemühungen bei den Elektro-Pkw nicht erreicht haben, sollen nun die Transporter schaffen? So steil Löws These ist, so verblüffend sind die Leistungsdaten des neuen VW e-Crafter:
… mit 90 km/h nur etwas schneller als ein 80-Kubik-Roller, deutlich weniger Zuladung als ein „normale“ Crafter und eine Reichweite, mit der man nicht einmal die Strecke vom VW-Nutzfahrzeuge-Standort in Hannover zur Konzernzentrale in Wolfsburg und zurück schafft. Warum sollte einen Käufer das überzeugen? Die Antwort von VW-Sprecher Markus Arand ist ganz schlicht: Die Kunden brauchen nicht mehr.
In einem aufwendigen Verfahren mit Hunderten Gesprächen und Interviews, an denen Eigentümer, Manager, Disponenten und Fahrer von kleinen, mittleren und großen Unternehmen beteiligt waren, ermittelten die VWler nicht weniger als 210.000 europaweite Fahrprofile. Daraus erstellten sie zunächst das Lastenheft des e-Crafter, und nach einer Entwicklungszeit von über zwei Jahren ließen sie ihre Vorserienfahrzeuge in mehrmonatigen Testfahrten von Kunden testen. Zu den Ergebnissen gehört, dass jedes zweite Fahrprofil sich „sehr gut elektrifizieren“ lasse, sagte VW-Marketingexperte Dennis Grothaus. Davon ist wiederum jedes dritte auf der „letzten Meile“ unterwegs, also auf Kurier- und Logistikfahrten. Weitere interessante Erkenntnisse:
Der typische Fahrer ist mit Paketen, Baumaterialien, Ersatzteilen oder Werkzeug neun Stunden am Tag im Transporter unterwegs. Dabei hält er 50 bis 100 Mal an, teilweise ist der Weg zum nächsten Kunden nur 500 Meter weit. Für diese Anforderungen ist ein Elektroauto geradezu prädestiniert, merkt Dennis Grothaus an. Die Bremsenergie beim häufigen Stoppen wird durch die Rekuperation teilweise zurückgewonnen, das Getriebe wird durch das zahlreiche Anlassen deutlich weniger belastet als beim Verbrenner und ist daher weniger reparaturanfällig.
Der durchschnittliche Fahrer legt täglich 70 Kilometer zurück, zu 85 Prozent im Stadtverkehr, dabei fährt er nicht schneller als 90 km/h. Der e-Crafter hat 136 PS und ein maximales Drehmoment von 290 Newtonmetern, das Stromer-typisch vom Start weg anliegt und den Wagen sogar beladen spritzig davonziehen lässt. „Für uns ist nicht die maximale, sondern die praxisrelevante Reichweite relevant“, hebt Grothaus hervor. Damit ist die e-Crafter-Reichweite von 173 Kilometern ebenso ausreichend wie die 90 km/h Spitze. Selbst im Winter, ergänzte Arand, wenn die Heizungen Strom ziehen, behält der Crafter eine Reichweite von 100 Kilometern.
Der Fahrer braucht im Schnitt 875 Kilogramm Zuladung und nutzt das Ladevolumen mindestens zu zwei Dritteln. Die aktuelle, zweite Generation des Crafter wurde von Anfang auch als Elektroversion entwickelt. Zum Beispiel wird die Lithium-Ionen-Batterie unter dem Ladeboden verstaut, so dass der gut 2,60 Meter hohe E-Transporter das volle Ladevolumen von 10,7 Quadratmetern bietet. Verluste bei der Durchladebreite (1,38 Meter) oder der Laderaumhöhe (1,81 Meter) entstehen ebenfalls nicht. Einschränkungen gibt es einzig durch das Gewicht der schweren Batterie: Der mit 3,5 und 4,25 Tonnen Gesamtgewicht angebotene e-Crafter kann knapp eine beziehungsweise 1,7 Tonnen aufnehmen. Das sind 500 Kilogramm weniger als beim Diesel-Crafter und ist dennoch ausreichend für die durchschnittliche Fahrt.
Der Wagen wird im Schnitt täglich neun Stunden genutzt, in neun von zehn Fällen hat er nach Feierabend seinen festen Platz im Betrieb. Nur 25 Prozent der Einsätze erfolgen spontan, privat wird das Auto so gut wie nie verwendet. Damit fällt noch ein Elektronachteil praktisch weg: die lange Ladedauer. Der e-Crafter kann gut über Nacht aufgeladen werden, mit einer Wallbox ist das in nicht einmal fünfeinhalb Stunden erledigt. Das reicht locker, bis am nächsten Morgen die Arbeit wieder beginnt. Für den Notfall ist ein Schnelladesystem vorhanden, das eine dreiviertel Stunde benötigt.
Nur eine oder mehrere Rekuperationsstufen?
„Wir haben die Erfahrung gemacht“, sagte VW-Sprecher Arand dem kraftfahrt-berichter, „dass die Reichweitenangst der Fahrer mit zunehmender Nutzung des e-Crafter abnimmt.“ Das intelligente System analysiert das Fahrverhalten und gibt die verbleibenden Kilometer zuverlässig an. „Suchten die Testfahrer anfangs bereits nach fünfzig Kilometern die nächste Ladestation auf, schöpften sie die Reichweite mit zunehmender Fahrpraxis immer mehr aus, weil sie Vertrauen zu den Angaben gewannen“, so Arand. Anders als der Wettbewerb, der mehrere wählbare Rekuperationsstufen anbietet, gibt es im e-Crafter nur eine einzige. Arand: „Die Testfahrer haben diese Wahlmöglichkeit nicht genutzt.“
Der e-Crafter kostet netto 69.500 Euro, das sind 17.000 Euro mehr als bei einem vergleichbaren Normalo-Crafter. Dafür hat der Stromer deutlich niedrigere Wartungs- und Verbrauchskosten, genießt die Steuerbefreiung und darf in sämtlichen Umwelt- und Verbotszonen fahren. In Fußgängerzonen ist der surrende e-Crafter sogar zu leise, haben die Testfahrten ergeben, daher bietet VW demnächst einen Soundgenerator für geringe Geschwindigkeiten an, damit die anderen Verkehrsteilnehmer aufmerksam gemacht werden.
Werden E-Transporter tatsächlich den Durchbruch bringen? VW-Marketingchef Löw verweist darauf, dass im Jahr 2030 jeder zweite neue Lieferwagen und Transporter im städtischen Verkehr elektrisch angetrieben sein muss, will man die offiziellen CO2-Ziele erreichen.