Automatischer Kennzeichenabgleich: Bundesverfassungsgericht gegen gläsernen Autofahrer
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RobGal -
10. April 2019 um 11:42 -
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Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen einiger Bundesländer zur automatischen Erfassung von Autokennzeichen und zum Abgleich mit polizeilichen Fahndungsdateien in wichtigen Teilen für grundgesetzwidrig erklärt (BverfG, Az.: 1 BvR 142/15, 1 BvR 2795/09 und 1 BvR 3187/10). Die obersten Richter stärkten damit die Persönlichkeitsrechte der Autofahrer gegen staatliche Überwachung.
Geklagt hatten mehrere Privatpersonen gegen die Polizeigesetze in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. In zwei Verfahren ging es um die polizeiliche Praxis, automatisiert Fotoaufnahmen von allen Fahrzeugen auf einem Streckenabschnitt zu machen, die um Informationen zu Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung ergänzt werden. Dabei werden die Nummernschilder ausgelesen und automatisch mit Fahndungslisten verglichen. Erfolgt kein Treffer, werden die Daten sogleich gelöscht. Andernfalls unterziehen Polizeibeamte das Foto, auf dem eventuell Gesichter von Fahrzeuginsassen zu erkennen sind, einer eingehenderen Prüfung und lösen gegebenenfalls einen Alarm aus. Mit dieser Prozedur, durch die massenhaft unverdächtige und ahnungslose Autofahrer erfasst und faktisch unter Verdacht gestellt werden, will man nach offiziellen Angaben und je nach Bundesland bewirken, dass Einbruchserien beendet, gefährliche Straftäter geschnappt oder Großveranstaltungen und Demonstrationen bereits im Vorfeld geschützt werden.
Erstmals eingesetzt wurden Technik und Verfahren 2012. Damals allerdings nicht auf der Grundlage eines Polizeigesetzes, sondern auf Anordnung der Staatsanwaltschaft, um in einem konkreten Fall einen unbekannten Täter dingfest zu machen. Der hatte immer wieder auf andere Autofahrer geschossen, wurde schließlich gefasst und zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Bundesinnenministerium hatte das Vorgehen mit Blick auf die Gefahr für andere zur „Ultima ratio“ erklärt. In Bayern wurden auf diese Weise im Jahr 2016 im Schnitt 8,9 Millionen Fahrzeuge pro Monat erfasst.
Das Bundesverfassungsgericht sieht in dieser Praxis einen Grundrechtseingriff „gegenüber allen Personen, deren Kraftfahrzeugkennzeichen erfasst und abgeglichen werden, unabhängig davon, ob die Kontrolle zu einem Treffer führt“. Dabei seien alle personenbezogenen Daten geschützt, „unabhängig davon, ob sie für sich genommen nur einen geringen Informationsgehalt haben, sensibel oder öffentlich zugänglich sind“, so das Gericht weiter. Daher müsse für solch einen Eingriff ein gewichtiger Anlass vorliegen.
Keine Kontrollen „ins Blaue hinein“
Das Verfassungsgericht korrigierte damit seine eigene Rechtsprechung. 2008 war das Gericht in einem ähnlichen Fall davon ausgegangen, dass ein Grundrechtsverstoß erst dann vorliege, wenn die Daten der Autofahrer bei einem erfolglosen Abgleich nicht sofort gelöscht werden. Nun stellen die Karlsruher Richter fest, dass bereits das Scannen der Daten eine Beeinträchtigung darstellt. Wörtlich: „Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden.“ Weiter heißt es in einem der Urteile: „Die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein ist mit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich unvereinbar.“ Mit anderen Worten: Die automatisierte Erhebung und der Abgleich von Nummernschildern ist zwar erlaubt, jedoch nur in konkreten, schwerwiegenden und gesetzlich definierten Fällen, etwa zur Verhinderung einer schweren Straftat. Allen drei Landespolizeigesetzen werfen die Verfassungsrichter vor, die Erhebung und den Abgleich der Daten von Autofahrern allzu leicht zuzulassen.
Speziell am bayerischen Polizeigesetz monieren die Verfassungsrichter fehlende Gesetzgebungskompetenz. Der automatische Abgleich an der Grenze der Bundesrepublik darf demnach nicht von einem Bundesland, sondern einzig von Bund gesetzlich geregelt werden. Auch Baden-Württemberg wird für mangelnde Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Strafverfolgung gerügt. Hessen hatte in sein Gesetz eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit festgeschrieben, ohne den entsprechenden Grundgesetzartikel zu benennen, was einen Verstoß gegen die Transparenz im Rahmen des „Zitiergebotes“ darstellt. Die drei Bundesländern müssen nun ihre Polizeigesetze enger fassen, korrigieren und konkretisieren. Dafür gab ihnen das Verfassungsgericht Zeit bis zum Ende des Jahres.
Das Karlsruher Urteil könnte Auswirkungen über den unmittelbaren Gegenstand hinaus haben. Nicht nur, dass auch andere Bundesländer ähnlich lautende Polizeigesetze haben, mit dem Richterspruch wird der gesteigerten Sammel- und Kontrollwut in Zeiten der Digitalisierung generell ein Riegel vorgeschoben, damit es nicht – oder nicht so leicht – zum gläsernen Autofahrer kommt.
Besonders pikant ist nun die Frage, ob das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gesetz zur Kontrolle von Fahrverbotszonen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Denn die Regierung möchte auch in diesem Fall auf die automatische Kennzeichenerfassung zurückgreifen. Das Kabinett hatte seinen Gesetzesentwurf nach starker Kritik kürzlich relativiert und die Überwachung auf Stichproben reduziert. Ob das ausreicht, um die Forderungen des Grundgesetzes zu erfüllen, ist nach dem aktuellen Urteil eher zweifelhafter geworden. Die erhobenen Daten sollen erst nach spätestens zwei Wochen gelöscht werden.