AG Hattingen urteilt zum Wiederbeschaffungswert und zur Differenzbesteuerung bei Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs
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RobGal -
15. April 2019 um 10:53 -
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AG Hattingen Urteil vom 25.3.2019 – 6 C 181/17
Immer wieder streiten der Unfallgeschädigte und der eintrittspflichtige Versicherer nach einem Verkehrsunfall über die Höhe der eingetretenen Schäden. Besonders streitig sind dabei die Kosten der Ersatzbeschaffung im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens. Für die Berechnung des Schadens ist dabei von größter Wichtigkeit der Wiederbeschaffungswert, weil von diesem der Wiederbeschaffungsaufwand maßgeblich abhängt.
Eine weitere Frage ist, ob der Wiederbeschaffungswert steuerneutral oder differenzbesteuert anzusetzen ist. Dies hängt in der Regel davon ab, ob ein Fahrzeug überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten wird oder nicht. Geht die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung von einem niedrigen Wiederbeschaffungswert mit Differenzbesteuerung und einem hohen Restwert aus, so ist ihre Ersatzleistung relativ gering. Der Kfz-Sachverständige, der das Schadensgutachten für den Geschädigten erstellt, wird jedoch zur Ermittlung der Daten Anfragen an ortsansässige Firmen richten oder Angebote von Privatpersonen einholen. Dennoch wird die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ihre Ersatzleistung minimieren, so dass der Rechtsstreit quasi von der Kfz-Haftpflichtversicherung initiiert wird. So war es auch in dem Fall, den das Amtsgericht Hattingen am 25.3.2019 zu entscheiden hatte. Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall hatte der Geschädigte ein Schadensgutachten bei einem ortsansässigen Kfz-Sachverständigen in Auftrag gegeben. Der Privatgutachter kam zu einem wirtschaftlichen Totalschaden und ermittelte einen Wiederbeschaffungswert von 4.800,00 € und einen Restwert von 920,00 €.
Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte unter Hinweis auf eine Differenzbesteuerung einen um 117,07 € geringeren Betrag. Damit konnte und wollte sich der Geschädigte nicht abfinden und erhob Klage vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Hattingen. Das erkennende Gericht gab dem Kläger nach Durchführung einer Beweisaufnahme und Einholung eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Kfz-Sachverständigen Recht. Das Gericht schloss sich den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen in vollem Umfang an. Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen den beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer ein Anspruch auf Zahlung restlicher 117,07 € aus §§ 115 VVG, 7, 17 StVG, 823 I BGB zu. Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist zwischen den Parteien die von der Beklagten vorgenommene Differenzbesteuerung bei der Wiederbeschaffung des klägerischen Fahrzeugs sowie die Höhe des Wiederbeschaffungswertes selbst.
1. Zum Wiederbeschaffungswert:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts gemäß § 286 ZPO fest, dass der Wiederbeschaffungswert für das klägerische Fahrzeug bei einer ex-post-Betrachtung unter Berücksichtigung der bewertungsrelevanten Parameter 4.800,00 € beträgt. Dies ergebe sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen R.. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat einen Wiederbeschaffungswert von 4.800,00 € netto steuerneutral ermittelt. Hierzu führte der Sachverständige eine Recherche auf der Plattform mobile.de durch, die nach Eingrenzung der Fahrzeugsuche mit den im Gutachten des Privatgutachters aufgeführten Fahrzeugen dazu führte, dass bei der Suche noch 14 Händlerangebote und 18 Privatangebote angezeigt wurden. Der Sachverständige fasste zunächst alle Privatangebote über 3.500,- € zusammen, da nur diese den Parametern des klägerischen Fahrzeugs entsprachen.
Die Addition mit den im Gutachten des Sachverständigen vom 18.10.2018 aufgeführten Angeboten ergibt einen Betrag von 24.540,00 €, geteilt durch die Anzahl der Angebote einen Betrag von 4.090,00 €, den der Sachverständige mit dem Faktor 1,15 multipliziert hat, so dass sich ein Betrag von 4.715,00 € ergibt, der insbesondere wegen der Laufleistung auf 4.800,00 € aufzurunden war. Die vom Privatsachverständigen ebenfalls ausgewerteten Händlerangebote waren insoweit mit den Fahrzeugdaten des klägerischen Fahrzeugs nicht vergleichbar, da sie eine deutlich geringere Laufleistung, nämlich durchschnittlich nur 73.111 km, aufwiesen, während das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt eine Laufleistung von 99.481 km aufwies. Den Einwendungen der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung gegen die Feststellungen des Sachverständigen vermag das Gericht nicht zu folgen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, warum er bestimmte Angebote nicht berücksichtigt hat und dass er zwischen Privat- und Händlerangeboten unterschieden hat. Auch die Berechnungsmethode ist nachvollziehbar dargestellt, was sich auch aus dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 17.01.2019 ergibt. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen an.
2. Zur Differenzbesteuerung
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für das erkennende Gericht auch gemäß § 286 ZPO zur Überzeugung fest, dass das Fahrzeug des Klägers überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten wird, so dass eine Besteuerung nicht verifizierbar ist. Der vom Gericht bestellte Sachverständige stellte überzeugend fest, dass dem Klägerfahrzeug vergleichbare Fahrzeuge sowohl für den Bereich Nordrhein-Westfalen als auch für den bundesweiten Gesamtbereich unter Berücksichtigung des Alters und der Laufleistung zwischen 90.000 und 100.000 km überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten werden, was sich im Übrigen auch mit den Erfahrungssätzen aus der Rechtsprechung deckt (siehe dazu LG Wiesbaden Urt. v. 9.12.2005 – 9 S 12/05 -). Auch in diesem Rechtsstreit stellt der vom Gericht bestellte Gutachter fest, dass vergleichbare Fahrzeuge überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten werden. Daher ist eine Besteuerung nicht verifizierbar.
Dabei hat der vom Gericht bestellte Gutachter eine Recherche anhand der Internetportale autoscout24.de, mobile.de sowie ebay.de durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass das betreffende Fahrzeug überwiegend von Privatleuten angeboten wird, was dem Gericht vor dem Hintergrund der Laufleistung von knapp 100.000 km und des Altes des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Unfalls plausibel erscheint. Das Gericht schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an. Es ergibt sich somit ein Anspruch des Klägers gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung auf Zahlung von 117,07 €, da von einem Wiederbeschaffungsaufwand von 3.880,-- €, der sich aus der Subtraktion des Wiederbeschaffungswertes von 4.800,-- € abzüglich Restwert von 920,-- € ergibt, auszugehen ist, worauf die Beklagte lediglich 3.762,93 € gezahlt hat.
Fazit und Praxishinweis:
Das erkennende Gericht hat zu Recht die von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung geltend gemachten Werte und die geltend gemachte Differenzbesteuerung überprüfen lassen. Zur Klärung dieser Fragen hat das Gericht ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Da es sich auch bei Kfz-Haftpflichtversicherungen um gewinnorientierte Unternehmen handelt, sind diese daran interessiert, den Schaden möglichst gering zu halten. Da spielt die bestehende Rechtslage schon mal keine Rolle mehr. Leider, muss man sagen, denn auch Kfz-Haftpflichtversicherungen sind an Recht und Gesetz gebunden. Gerade bei älteren Fahrzeugen stellt sich die Frage nach der Höhe des Wiederbeschaffungswertes und des Restwertes, denn daraus errechnen sich die Wiederbeschaffungskosten. Auch stellt sich gerade bei älteren Fahrzeugen mit hoher Laufleistung die Frage der Besteuerung bei der Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs. Werden ältere Fahrzeuge mit hoher Laufleistung beschädigt, kann ein Ersatzfahrzeug in der Regel nur von privat beschafft werden. In diesem Fall fällt keine Steuer an.