Wegen der Invasion in Syrien: VW stoppt Beschluss zum Bau eines Werkes in der Türkei
-
RobGal -
2. November 2019 um 12:08 -
0 Kommentare -
9.815 Mal gelesen
Nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien hat der Volkswagen-Konzern seine endgültige Entscheidung zum Bau eines Werkes in der Nähe der türkischen Hafenstadt Izmir bis auf weiteres verschoben. Der Vorstand blicke mit Sorge auf die Entwicklung und habe den entsprechenden Beschluss vertagt, teilte ein Konzernsprecher mit.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht in der Militäroffensive, die sich gegen kurdische Autonomiegebiete in Nordsyrien richtet, einen Bruch des Völkerrechts. Er befürchtet, dass eine enorme Flüchtlingswelle und eine allgemeine Verschärfung der Sicherheitslage die Folgen sein werden. „Die Bilder, die wir aus Nordsyrien sehen, sind entsetzlich“, sagte Weil, der auch Mitglied im Aufsichtsrat des Konzerns ist. Er könne sich nicht vorstellen, dass Volkswagen unter diesen Bedingungen eine Milliardeninvestition in der Türkei vornehmen werde. Das Land Niedersachsen ist mit einer Sperrminorität von 20 Prozent am VW-Konzern beteiligt und hat dadurch maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Entscheidungen des internationalen Automobilherstellers.
Volkswagen hatte nach monatelangen Verhandlungen Anfang Oktober bekanntgegeben, dass ein in Osteuropa geplantes Mehrmarkenwerk in der türkischen Stadt Manisa nahe Izmir gebaut werden solle. Dieses Vorhaben ist nun in Frage gestellt, die endgültige Entscheidung wurde vertagt. „Wir sind in einer sorgfältigen Beobachtungsphase“, erklärte Andreas Tostmann, Produktionsvorstand von VW Pkw. Eine alternative Standortplanung verfolgen die Wolfsburger demnach zwar nicht, doch konnte Tostmann auch keinen Zeitpunkt für eine abschließende Entscheidung nennen, die ursprünglich im Laufe des Oktobers fallen sollte.
Ab 2022 will Volkswagen in einem neuen osteuropäischen Werk Fahrzeuge unter anderem der Mittelklassebaureihen Škoda Superb und VW Passat vom Band laufen lassen. In Manisa sollten deutlich mehr als eine Milliarde Euro investiert und 4.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, um eine Fabrik mit einer Jahreskapazität von 300.000 Autos zu errichten. Attraktiv für VW ist aus geschäftlicher Sicht das niedrige Lohnniveau in der Türkei. Zudem locken gut ausgebildete Fachkräfte und eine entwickelte Zuliefererindustrie, die zusätzliche Investitionen tätigen würde und neue Jobs entstehen ließe.
Gewerkschaftsinformationen zufolge wird in der Türkei für diese Arbeiten ein Stundenlohn von lediglich zwei Euro bezahlt. Das ist ein niedrigeres Stundensalär als in vielen osteuropäischen Ländern, die ebenfalls im Blick für dieses Werk waren. In Bulgarien, das auch in der engeren Auswahl war, sind die Löhne zwar ebenso niedrig, jedoch sind dort weniger qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden.
VWs Entscheidung für die Türkei steht bereits wegen fragwürdiger Fördergelder in der Kritik. Aus Brüssel heißt es, der türkische Präsident Erdogan habe Volkswagen 400 Millionen Euro an Subventionen zugesagt. Diese Höhe übersteige zudem die finanziellen Möglichkeiten von Mitbewerbern wie Bulgarien und verstoße gegen geltende Handelsabkommen. Deshalb wurde die EU-Kommission von EU-Abgeordneten aufgefordert, die Angelegenheit zu überprüfen. Zudem monieren Parlamentarier verschiedener Fraktionen die Menschenrechts Praxis in dem Land, dessen Demokratie unter Erdogan stark gelitten hat.
Derweil soll Presseberichten zufolge Bulgarien seine Subventionszusage von 135 Millionen Euro für VW auf 250 bis 260 Millionen Euro fast verdoppelt haben, und die rumänische Regierung, die sich ebenfalls um den VW-Standort bewirbt, hat nach eigener Aussage neue Gespräche mit Volkswagen angestoßen.
Dem VW-Konzern kommen die Verzögerungen ungelegen, steht er doch vor dem Abschluss einer neuen Planungsrunde mit der Festlegung zum milliardenschweren Investitionsbudget für die nächsten fünf Jahr, was angesichts der über 130 Werke kompliziert genug ist. Dies wird auch Thema auf der nächsten Aufsichtsratssitzung Mitte November sein. Ministerpräsident Weil hofft, dass sich die Verhältnisse in der Türkei bis dahin normalisiert haben.