Feinstaub: 90 Prozent weniger Bremsabrieb durch superschnelles Lasern
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RobGal -
12. November 2019 um 10:24 -
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Es waren vor allem Wissenschaftler und Ärzte, die im Zuge des Dieselskandals auf eine bis dahin unterschätzte Gefahr in verschmutzter Stadtluft hinwiesen: den Feinstaub. Die winzigen Partikel sind in der Lage, die körpereigenen Filtersysteme zu überwinden, sich im Körper anzusammeln und schwere Krankheiten auszulösen. Unter welchen Bedingungen die Partikel wirklich schädlich sind, ob sie auch über das Trinkwasser oder die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen, ob sie die Meeresumwelt bedrohen - all das ist noch nicht geklärt. Fakt ist jedoch: Die 57 Millionen in der Bundesrepublik zugelassenen Kraftfahrzeuge sind alle mit Reifen und Bremsen ausgestattet, bei deren Nutzung Feinstaub, so genannter Abrieb, in großen Mengen entsteht.
Also müssen Gegenmaßnahmen her - und wie immer sind die am besten, die das Problem gar nicht erst entstehen lassen: zum Beispiel Bremsen, die kaum noch Abrieb erzeugen. Das ist dem Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der RWTH Aachen gelungen. Sie haben das „Ultrahochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen“ erfunden. Damit können Bremsscheiben „erstmals“ mit einem Verschleiß- und Korrosionsschutz beschichtet werden, wie das Fraunhofer-Institut mitteilte.
Herkömmliche Bremsscheiben bestehen aus Gusseisen mit hohem Kohlenstoffanteil. Sie sind kostengünstig und können hohe Temperaturen gut ableiten. Das ist wichtig, denn beim Bremsen wird das Bremssystem nicht nur mechanisch stark belastet, es entstehen auch so hohe Temperaturen, dass die Bremswirkung beeinträchtigt werden kann. Die guten thermischen Eigenschaften der Bremsscheibe werden allerdings durch eine leichte Rostanfälligkeit und einen hohen Abrieb erkauft. Alle bisherigen Techniken, sie mit einer Schutzschicht zu überziehen, halten den enormen Bremskräften auf Dauer nicht stand oder sind für den Massenmarkt zu teuer.
Hier setzten die auf Lasertechnik spezialisierten Fraunhofer-Forscher an. Sie entwickelten ein Verfahren, das Extrem-Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen (EHLA), mit dem sich auf die Bremsscheibe zunächst eine Korrosionsschutzschicht und dann eine Verschleißschutzschicht auftragen lässt, die dann in direktem Kontakt mit dem Bremsbelag steht. Der Effekt ist enorm: „Die Feinstaubbelastung sinkt um bis zu 90 Prozent“, sagte Matthias Brucki vom ILT auf Anfrage des kraftfahrt-report. „Nach unseren theoretischen Annahmen hält die Bremsscheibe damit so lange wie das Auto“, so Brucki weiter, sie müsse also nicht mehr ausgetauscht werden. „Und es könnte sein“, denkt der Laserexperte laut nach, „dass die Bremsscheiben in Zukunft dünner werden, weil sie weniger verschleißen“, das spart Gewicht und Material.
Das neue EHLA-Verfahren ist eine Weiterentwicklung des herkömmlichen Laserauftragschweißens. Dabei wird pulverförmiger Beschichtungswerkstoff mit Hilfe eines Lasers, also unter Wärmeeinwirkung, in einem so genannten Schmelzbad auf das Bauteil aufgetragen. Beim ultraschnellen EHLA-Verfahren hingegen wird das Pulver durch eine Düse bereits oberhalb des Bauteils in den Laserstrahl geführt, wo es sich verflüssigt und als Tropfen in das Schmelzbad gelangt. Der Vorteil der frühzeitigen Erwärmung liegt laut Matthias Brucki darin, „dass man Zeit gewinnt, um die Pulverpartikel im Schmelzbad aufzuschmelzen“. Das verkürzt die Zeit für die Schichtbildung und beschleunigt den Fertigungsprozess, bei dem die Schutzschicht auf die rotierende Bremsscheibe „aufgetragen“ wird - und zwar deutlich: auf 500 Meter pro Minute. Beim herkömmlichen Laserauftragschweißen sind maximal zwei Meter pro Minute möglich. Die hohe Geschwindigkeit trägt dazu bei, das Verfahren wirtschaftlich zu beherrschen.
„Extrem kleine Aufschmelzzone“
Durch den sehr schnellen Laser wird das Bauteil nicht so stark durch Wärme belastet. "Die Schmelzzone ist extrem klein", erklärt Brucki, "so klein, dass wir sie kaum erkennen können. Nur so ist es möglich, eine Bremsscheibe mit Lasertechnik zu beschichten - bei größeren Hitzeflächen würde das Gusseisen sonst in Mitleidenschaft gezogen. Das Ergebnis sind sehr dünne Schichten. 0,025 Millimeter sind sie dick. Zum Vergleich: Beim herkömmlichen Laserauftragschweißen ist bei 0,5 Millimetern Schluss.
Unterm Strich bedeutet das: Das kostengünstige EHLA-Verfahren minimiert den Bremsenverschleiß um stolze 90 Prozent und schließt Korrosion nahezu aus, so dass die Bremsbeläge möglicherweise nicht mehr ausgetauscht werden müssen. „Die Autoindustrie rennt uns die Bude ein“, freut sich Brucki. Vor allem die Hersteller von Elektroautos zeigen sich interessiert. Denn die „Motorbremse“ der Stromer (Rekuperation) führt dazu, dass Autofahrer die normale Bremse nicht so häufig benutzen wie bei Verbrennern. „Dadurch kann sich noch leichter Korrosion bilden“, erklärt Brucki. EHLA ist also auch ein Beitrag zur E-Mobilität.
Das Verfahren soll demnächst von einem Zulieferer in Lizenz industriell umgesetzt werden, zunächst für Bremsbeläge von Nutzfahrzeugen, später für Pkw der Ober- und dann der Kompaktklasse.