Das Amtsgericht Jena hat mit Urteil vom 28.2.2014 – 21 C 114/13 – die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landgericht Gera mit Urteil vom 27.5.2015 – 1 S 88/14 – zurückgewiesen. Die Revision hat insoweit Erfolg, als der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen wurde, weil das Berufungsurteil revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.
Das Urteil der Berufungskammer des LG Gera hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Soweit das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf weiteren Schadensersatz mit Verweis auf die Nichtanwendbarkeit des § 9 StVO verneint hat, ist dies revisionsrechtlich zu beanstanden. Mit Erfolg beanstandet die Revision der Klägerin, dass die jeweiligen Verursachungsbeiträge nach § 17 StVG unrichtig abgewogen wurden. Grundsätzlich hat der Tatrichter die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG vorzunehmen. Das Revisionsgericht kann und darf nur überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (BGH VersR 2012, 504 Rn. 5; BGH VersR 2014, 894 Rn. 18 m.w.N.).
Die Abwägung nach § 17 StVG ist aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Als festgestellt gelten dabei alle unstreitigen, alle zugestandenen oder auch die nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalles. So hätte unter Umständen auch ein Verschulden der beklagten Fahrerin berücksichtigt werden müssen. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass ein solches Verschulden nicht aus einem direkten Verstoß aus § 9 V StVO hergeleitet werden kann. Diese Vorschrift ist nämlich auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar (vgl. BGH Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 – Rn. 11) Mittelbare Bedeutung erlangt § 9 V StVO aber über § 1 StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 V StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärtsfährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls auch sofort anhalten kann (BGH aaO). Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf das unfallursächliche Verschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen. Steht fest, dass sich der Rückwärtsfahrende noch in Bewegung befand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner erforderlichen Sorgfaltspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist und den Unfall damit zumindest mitverursacht hat (BGH aaO Rn. 14 f).
Nach diesen Grundsätzen muss davon ausgegangen werden, dass der Beweis des ersten Anscheins gegen die beklagte Fahrerin, die mit ihrem Fahrzeug rückwärtsfuhr,spricht. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin mehr als die bisher regulierten 60 % ihres Schadens als Schadensersatz beanspruchen kann. Dies wird das Berufungsgericht in einem neuen Termin zur mündlichen Verhandlung und gegebenenfalls Beweisaufnahme zu klären haben.
Fazit und Praxishinweis: Mit diesem Urteil hat der VI. Zivilsenat seine Rechtsprechung zu Parkplatzunfällen fortgesetzt. Das vorstehende Urteil bildet daher eine Fortschreibung der Rechtsprechung aus dem Senatsurteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15 – (die Unfallzeitung hatte auf das Urteil bereits hingewiesen!). Zwar ist die Vorschrift des § 9 V StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Aber über § 1 StVO erlangt sie eine mittelbare Bedeutung. Entsprechend der Wertung des § 9 V StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz ohne eindeutigen Straßencharakter rückwärts fährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls jederzeit anhalten kann. Kollidiert den noch in Rückwärtsbewegung befindliche Fahrer mit einem stehenden Fahrzeug spricht der Beweis des ersten Anscheins dass der Rückwärtsfahrende den Unfall zumindest mitverursacht hat, wenn nicht sogar überwiegend.