Wer als Autofahrer schon einmal in einen Unfall verwickelt war, wird sie eventuell kennen: die Schwacke-Liste. Sie ist aus der täglichen Schadensregulierung von Verkehrsunfällen ''nicht mehr wegzudenken'', wie Richter Werner Bachmeier aus seiner Praxis am Amtsgericht Bernbeuren in Oberbayern weiß.
Gegründet wurde die Liste von ihrem Namensgeber, dem Frankfurter Autohändler Hanns Schwacke, der von 1921 bis 2008 lebte. Der gab im November 1957 den ersten "Marktbericht für Gebrauchtwagen" heraus, der nur aus einer einzigen Seite bestand. Die Vorlage für die Idee kam aus Amerika. Hanns Schwacke übernahm sie zunächst für Deutschland, dann auch für die deutschsprachigen Länder. Er hob den Dienstleister Eurotax aus der Taufe, heute Eurotax-Schwacke, den Herausgeber der Schwacke-Liste für Fahrzeugbewertungen. In den 1960er Jahre gab es in den Niederlanden, Österreich und der Schweiz Filialen, "die den dortigen Automobilhändlern und -versicherern allgemeingültige Automobilrestwerte zur Verfügung stellten", wie es in der Firmengeschichte heißt. Heute informieren sich unzählige Autofahrer und -händler, die einen Gebrauchtwagen veräußern oder ein Auto aus zweiter Hand erwerben wollen, in der Schwacke-Liste, um den Wert eines Wagens herauszufinden und die Angebote von Privatpersonen oder Händlern zu bewerten.
"Bereits die Nichtbenutzbarkeit stellt den Schaden dar"
Nimmt man das Datum der ersten Ausgabe der Liste, konnte "Schwacke" bereits 2007 seinen fünfzigsten Geburtstag feiern. Geht es nach Werner Bachmeier, ist der "juristische" fünfzigste Geburtstag erst in diesem Jahr im April. Denn den Durchbruch hatte die Tabelle im Frühjahr 1966, als der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil aus der Vorinstanz von 1963 bestätigte. Darin wurde die Bedeutung des Fahrzeugausfalls für die Verbraucher festgestellt. "Nicht erst der Mindererlös beim Verkauf des vorübergehend nicht einsatzbereiten (Unfall-)Wagens lassen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise den Schaden entstehen", urteilte der BGH seinerzeit, "sondern die durch die Beschädigung eingetretene Nichtbenutzbarkeit selbst stellt bereits den Schaden dar". Damit wurde höchstrichterlich die "überragende Bedeutung des Kraftfahrzeugs für den Bürger" festgestellt, so Richter Bachmeier. Er betrachtet dieses Datum deshalb "als juristische Geburtsstunde der Kfz-Nutzungsausfallentschädigung und zugleich der sogenannten Schwacke-Liste", schreibt er in einem Beitrag für die ADAC-Rechtszeitschrift "Deutsches Autorecht" (DAR).
Der unfallgeschädigte Autofahrer, der kein Ersatzfahrzeug anmietet, hat grundsätzlich Anspruch auf Geldentschädigung für den Zeitraum, in der sein Wagen in der Reparatur ist und nicht genutzt werden kann. Für die Tagessätze gab es zunächst die sogenannte Sanden-Danner-Tabelle (heute Sanden-Danner-Küppersbusch), die in die Schwacke-Liste integriert wurde. Seit dem BGH-Urteil berufen sich Zivilgerichte, Haftpflichtversicherer und Verkehrsanwälte "beinahe routinemäßig" auf die Liste, um die Nutzungsentschädigung bei "unfallbedingtem Ausfall eines Kraftfahrzeuges" zu berechnen. Sie wurde erstmals von dem Juristen Dr. Sanden und dem Ingenieur und internationalen Unfallforscher Professor Dr. Max Danner erstellt, der 1971 das Institut für Kfz-Technik im Allianz-Zentrum für Technik gründete. Sanden und Danner hatten es geschafft, "die juristische und die technische Komponente zusammenzuschweißen", was laut Bachmeier "die Regulierungspraxis nicht nur erleichterte, sondern eigentlich erst ermöglichte".
Seit Eurotax-Schwacke mit dem Rechtsportal Juris kooperiert, an dem die Bundesregierung mit über 50 Prozent beteiligt ist, stehen Nachweise einzelner Autos aus der Schwacke-Liste online jedem Autofahrer offen, wenn auch kostenpflichtig und nicht als Übersicht. Bei der Berechnung für den Nutzungsausfall von Mietwagen gibt es heute auch andere Berechnungsmodelle (beispielsweise von der DAT), aber "zur ‚Schwacke-Liste Nutzungsausfallentschädigung’ gibt es keine Alternative", betont Werner Bachmeier. Als Grund nennt er den "immensen Aufwand", mit dem die Tabellen bei Modellbewertung, -differenzierung und Informationsverarbeitung erstellt wird. Seit den Anfängen Mitte der 1960er Jahre bis heute wurden die Daten von 43.000 Fahrzeugmodellen erhoben – auch von seltenen. Nicht nur, dass ständig neue Angaben hinzu kommen, sie müssen auch laufend auf ihre richtige Eingruppierung hin überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Mit den Glückwünschen zum "juristischen Jubiläum" der Schwacke-Liste verknüpft Richter Bachmeier Vorschläge für die Zukunft:
Beispielsweise erhalten Verbraucher keinen Überblick über die Liste, da Onlineabfrage und Printausgabe nur Fachleuten zur Verfügung stehen. Um aber seine Rechte wahrnehmen zu können, müsse man seine Rechte auch kennen, betont Bachmeier. Geschädigte Verbraucher seien ohne Überblick deutlich eingeschränkt. Müssen sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, können sie bei Bagatellschäden schnell auf den Kosten sitzen bleiben. Bachmeier regt daher "aus Gründen der Fairness" an, für Verbraucher eine einfache Online-Recherche zuzulassen.
Die Schadenregulierung von Unfällen im Ausland gehört nach deutschem Recht zum Standard. Im EU-Ausland gibt es dazu aber kaum Entsprechungen, kritisiert Bachmeier. Die meisten Länder wie Belgien, Dänemark, die Niederlande, Österreich oder Polen sehen nur eine Pauschale als Nutzungsentschädigung oder akzeptieren wie Frankreich nur geringe Beträge ohne Bezug zum Fahrzeugtyp. Daher bestehe auch bei ausländischer Schadenregulierung "ein erhebliches Bedürfnis auf den Onlinezugriff", so Bachmeier.
Bei der Datenabfrage sollte auch die Unfallzeit angegeben werden, schlägt Bachmeier vor. Bei den Kfz-Versicherungen wird nämlich häufig übersehen, dass die Schwacke-Daten zweimal jährlich aktualisiert werden. Durch Bachmeiers Vorschlag könnte dann festgestellt werden, in welcher Höhe der Fahrzeugschaden zum Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich war.