BGH urteilt zur Fälligkeit bei 130 %-Grenze
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Marcus Gülpen -
19. Dezember 2008 um 18:43 -
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Grundsatz
"Lässt der Geschädigte den Fahrzeugschaden, der über dem Wiederbeschaffungswert, aber innerhalb der 130 %-Grenze liegt, vollständig und fachgerecht reparieren, so wird der Anspruch auf Ersatz der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturkosten im Regelfall nicht erst sechs Monate nach dem Unfall fällig."
Fälligkeit:
"…Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem an der Gläubiger die Leistung verlangen kann."
"Kann der Geschädigte wegen Beschädigung einer Sache Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) verlangen, so tritt die Fälligkeit in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein."
AUCH WENN DIE SCHADENSFESTSTELLUNGEN LÄNGER DAUERN SOLLTEN...
"Dass der Umfang der Ersatzpflicht des Schädigers in der Praxis regelmäßig erst nach einiger Zeit festgestellt werden kann, weil etwa Gutachten zum Umfang des Schadens eingeholt oder die Rechnungsstellung durch eine Reparaturwerkstatt abgewartet werden müssen, ändert daran nichts."
ODER DER UMFANG DER SCHADENSPOSITIONEN STREITIG SEIN SOLLTE…
"Auch wenn einzelne Schadenspositionen zwischen der Geschädigtenseite und der Schädigerseite streitig sind und ihre Berechtigung in einem möglicherweise lang dauernden Rechtsstreit geklärt werden muss, ändert dies nichts an der Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs, soweit er sich (später) als gerechtfertigt erweist, und auch nichts daran, dass die Schädigerseite, wenn sie wirksam in Verzug gesetzt wurde, für den Verzugsschaden einzustehen und Verzugszinsen zu zahlen hat."
Verzug
"Sobald der Geschädigte über die zur Geltendmachung seiner Forderungen erforderlichen Informationen verfügt, kann er prinzipiell den Verzug (§ 286 BGB) des Schädigers bzw. seines Haftpflichtversicherers mit der fälligen Forderung herbeiführen und gegebenenfalls die Verzugsfolgen (§§ 287, 288 BGB) geltend machen."
BISHER HATTE DER BGH - NUR - ENTSCHIEDEN
"Der Senat hat lediglich entschieden, dass der Geschädigte zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen kann, wenn er das Fahrzeug - gegebenenfalls unrepariert - mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt (BGHZ 168, 43, 46 ff.), und dass der Geschädigte zum Ausgleich eines Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt, Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert minus Restwert) auch bei vollständiger und fachgerechter Reparatur im Regelfall nur verlangen kann, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt (Senatsurteile vom 13. November 2007 - VI ZR 89/07 - VersR 2008, 134 f. und vom 27. November 2007 - VI ZR 56/07 - VersR 2008, 135, 136)."
6 MONATSFRIST IST INDIZ - BEWEIS - FÜR INTEGRATIONSINTERESSE NICHT ZUSÄTZLICHE VORAUSSETZUNG FÜR FÄLLIGKEIT
"Die Sechsmonatsfrist stellt indes keine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dar. Sie hat lediglich beweismäßige Bedeutung."
"Wird das beschädigte Fahrzeug sechs Monate nach dem Unfall weiter benutzt, so ist dies im Regelfall ein ausreichendes Indiz, um das Integritätsinteresse des Geschädigten zu bejahen; eine weiter gehende Bedeutung hinsichtlich der Fälligkeit des Anspruchs kommt der Frist nicht zu. Sie als eigenständige Anspruchsvoraussetzung zu verstehen, verbietet sich …";
ANDERNFALLS UNZUMUTBARE REGULIERUNGSPRAXIS:
"Dies würde auch zu einer für die Mehrzahl der Geschädigten unzumutbaren Regulierungspraxis führen. Diese müssten, obwohl sie ihr Fahrzeug ordnungsgemäß reparieren ließen oder lassen wollen, bis zu sechs Monate auf die Zahlung eines Großteils der ihnen zustehenden Ersatzforderung warten. Würde die Fälligkeit der Restforderung bis zum Ablauf der Sechsmonatsfrist verschoben, wäre es dem Geschädigten, auch wenn sich sein Begehren als gerechtfertigt erweist, nicht möglich, den Schädiger bzw. seinen Haftpflichtversicherer vor Ablauf der Frist in Verzug zu setzen, um so zumindest eine Verzinsung der Forderung zu erreichen. Dies liefe dann auf eine entschädigungslose Vorfinanzierung durch den Geschädigten oder, falls ihm eine Vorfinanzierung aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, auf einen gänzlichen Verzicht auf die gewünschte Reparatur hinaus, was eine erhebliche Einschränkung der Ersetzungsbefugnis und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten bedeuten würde."
6 MONATSFRIST IST REGEL - AUSNAHMEN DENKBAR
"Die Weiternutzung für sechs Monate ist nur im Regelfall ein ausreichendes Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse. Es sind indes zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Nutzung des Fahrzeugs aus besonderen Gründen bereits lange vor Ablauf der Sechsmonatsfrist eingestellt wird, etwa infolge eines weiteren Unfalls oder deshalb, weil eine Fahrzeugnutzung aus finanziellen Gründen (z.B. Arbeitslosigkeit) nicht mehr möglich ist. In solchen Fällen könnte für die Fälligkeit allenfalls auf den Zeitpunkt der jeweils erzwungenen oder jedenfalls schadensrechtlich unschädlichen Nutzungsaufgabe abgestellt werden."
INTEGRATIONSINTERESSE BEREITS MIT DER REPARATUR BELEGT
"Die Zahlung des gesamten Betrages erfolgt auf eine vom Geschädigten veranlasste Wiederherstellung des beschädigten Kraftfahrzeugs. Hierdurch ist der Wille zur Weiternutzung zunächst ausreichend belegt."
INSOLVENZRISIKO TRÄGT DER VERSICHERER/SCHÄDIGER - RÜCKFORDERUNGS-VORBEHALT ZULÄSSIG
"Dass der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer bei sofortiger Fälligkeit des gesamten Schadensersatzbetrages nach fachgerechter Reparatur das Solvenzrisiko hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs trägt, sofern er in der Sechsmonatsfrist zahlt, vermag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern. Die mit der Gesamtfälligkeit möglicherweise einher gehenden Unsicherheiten erschweren die Regulierung für den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer auch nicht unzumutbar."
"Zahlt der Versicherer, kann er die Zahlung des über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Betrages unter einem Rückforderungsvorbehalt leisten."
STELLUNGNAHME ZUR ENTSCHEIDUNG
Die Entscheidung ist zu begrüßen, weil Sie endlich auf dem "Unfallmarkt" Klarheit schafft. Entscheidungen einzelner OLG - so auch der KG Beschluss vom 16.10.2008, 22 W 64/08 (n.rk.) - dürften damit Rechtsgeschichte sein.
Es bleibt abzuwarten wie die Versicherer darauf in der Praxis reagieren werden. Insolvenzrisiko gegen Verzugskostenrisiko.
Nutzungsausfall oder Mietwagenkosten, die entstehen weil der Versicherer das 6 Monatsfälligkeitsargument bringt, dürften für den mittellosen Geschädigten nunmehr vor den Gerichten realisierbar sein, wenn die Werkstatt - berechtigterweise - von seinem Werkunternehmerpfandrecht Gebrauch macht.
Marcus Gülpen Berlin