Schlaf ist erholsam, erfrischt, schenkt unserem Körper neue Energien. Er kann allerdings auch tödlich sein - dann nämlich, wenn er uns als Sekundenschlaf am Steuer eines Autos überrascht. Das passiert viel öfter, als es die Statistik über die Unfallursachen ausweist. Nach den neuesten europäischen Studien hat fast jeder vierte schwere Unfall in Europa einen ganz einfachen Grund: Übermüdung des Fahrers, der für Sekunden einschläft und dann ohne erkennbaren Grund von der Fahrbahn abkommt, auf die Gegenfahrbahn gerät oder ungebremst in ein Stauende rast.
Rechtzeitig Pausen machen, heißt das im Prinzip verblüffend einfache Rezept gegen Einschlafunfälle. Doch leider nehmen die meisten Fahrer die Signale, die sie auf Ermüdung hinweisen, nicht wahr oder auch nicht ernst, fahren weiter, obwohl ihnen immer wieder kurzzeitig die Augen zufallen. Am Steuer der neuen E-Klasse von Mercedes-Benz, die im Frühjahr eingeführt wird, wird das künftig nicht mehr so einfach möglich sein. Denn mit dem zur Serienausstattung gehörenden Assistenzsystem Attention Assist haben Mercedes-Ingenieure einen bahnbrechenden Einschlafwarner geschaffen, der zuverlässig erkennt, dass die Aufmerksamkeit des Fahrers nachlässt und ihm das mit nicht zu übersehender Deutlichkeit meldet: Durch ein unüberhörbares Warnsignal und die unmissverständliche Aufforderung "Pause!" auf dem Display des Kombiinstruments.
Entscheidend bei diesem System ist, dass es im Unterschied zu allen bisher entwickelten Einschlafwarnern nicht nur verblüffend einfach und kostengünstig, sondern auch universell einsetzbar ist. Schon bald soll es die gesamte Mercedes-Modellpalette schützen und auch andere Hersteller könnten es problemlos übernehmen. Denn als einziges zusätzliches Bauteil ist lediglich ein hochsensibler Lenkwinkelsensor erforderlich, dessen Messbereich gegenüber den für das ESP verwendeten Sensoren erweitert ist. Denn beginnende Müdigkeit erkennt der neue Mercedes-Einschlafwarner vor allem aus den Lenkbewegungen des Fahrers.
Viele Jahre hat ein Expertenteam aus Ingenieuren, Kybernetikern, Mathematikern, Informatikern und Psychologen die verschiedensten Möglichkeiten getestet, um Müdigkeit zu erkennen. Und immer deutlicher kristallisierte sich dabei heraus, dass man Ermüdung am zuverlässigsten an den Lenkbewegungen erkennen kann. Denn im Unterschied zu einem wachen Fahrer kann ein müder die Spur nicht präzise halten. Er macht viele kleine Lenkfehler, die in einer ganz typischen Art korrigiert werden.
Ein System, das solche Fehler messen und mit einer entsprechend programmierten Software erkennen kann, erwies sich bei Fahrten auf dem Fahrsimulator als der große Wurf zur Müdigkeitserkennung. Das umso überzeugender, als es bereits rechtzeitig vor dem Eintreten des so gefährlichen Sekundenschlafes warnt - und damit sehr viel früher, als die Systeme, mit denen bislang experimentiert wird. Dazu gehört zum Beispiel die Videoüberwachung der Blickrichtung und der Zahl und Dauer der Lidschläge der Augen mit Infrarotkameras. Ein aufwändiges System, das zudem Probleme bereitet, wenn der Fahrer eine Brille trägt. Und ein angesichts der Globalisierung nicht unwichtiger Faktor bei den Lidbewegungen sind die völlig anderen Augenschnitte asiatischer Fahrer, die solche Systeme irritieren können. Bei Mercedes-Benz hat man alle Verfahren zur Müdigkeitserkennung mit Augenüberwachung deshalb verworfen.
Eine gewisse Parallele zur Analyse der feinsten Lenkbewegungen beim System von Mercedes-Benz zeigt der Weg, den Volvo bei seinem im vergangenen Jahr eingeführten Driver Alert System geht. Driver Alert überwacht mit verschiedenen Sensoren und einer hoch auflösenden Kamera zwischen Frontscheibe und Innenspiegel die Bewegungsmuster des Fahrzeugs und registriert dabei, ob diese kontrolliert ablaufen oder mit zunehmender Ermüdung unregelmäßig werden. Bei gravierenden Abweichungen wird der Fahrer durch optische und akustische Signale gewarnt.
Eines allerdings kann auch der beste Einschlafwarner nicht: den Fahrer eines Autos von seiner Verantwortung für die Kontrolle seiner Fahrtüchtigkeit befreien. Auch wenn die neuesten Systeme besser als alle bisherigen Müdigkeit erkennen: die Entscheidung, ob, wann und wie lange ein ermüdeter Fahrer Pause macht oder ob er die Fahrt sogar für längere Zeit unterbricht, liegt allein in dessen Hand. Die Ausrede allerdings, er habe von seiner Müdigkeit nichts gemerkt, die wird ihm künftig niemand mehr abnehmen.
Ingo von Dahlern/UnZe