LG Hannover: Auch nicht bezahlte Sachverständigenkostenrechnung hat Indizwirkung
-
RobGal -
24. Januar 2017 um 14:45 -
0 Kommentare -
11.128 Mal gelesen
Der geschädigte hatte zunächst seinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten an den Sachverständigen abgetreten und dieser ihn dann an ein Factoring-Unternehmen. Der nicht erstattete Betrag ist Gegenstand des Rechtsstreites aus abgetretenem Recht zunächst vor dem Amtsgericht. Auf die Berufung hin hat dann die 9. Zivilkammer des LG Hannover als Berufungskammer entschieden und dem Geschädigten die vollen Sachverständigenkosten zugesprochen.
Die Berufung ist begründet. Dem Geschädigten stehen als Schadensersatz nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall die vollen Sachverständigenkosten zu. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, den ihm zugänglichen Sachverständigenmarkt zu erforschen, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Ausreichend ist es, wenn der Geschädigte einen für ihn ohne Weiteres erreichbaren Sachverständigen mit der Erstellung des Schadensgutachtens beauftragt. Die von dem Sachverständigen berechneten Kosten sind grundsätzlich von dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung bei voller Haftung in vollem Umfang zu ersetzen. Dass entsprechend der gefestigten BGH-Rechtsprechung die berechneten Sachverständigenkosten für den Geschädigten erheblich erkennbar über den üblichen Preisen liegen, hat die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung nicht vorgetragen. Derartige Anhaltspunkte liegen allerdings auch nicht vor.
Während der BGH in seiner jüngsten Entscheidung die Indizwirkung der berechneten Sachverständigenkosten nur auf bezahlte Kosten bezog, sieht die erkennende Berufungskammer keinen Grund, die Indizwirkung nur auf bezahlte Kosten zu beschränken. Auch noch nicht bezahlte Sachverständigenkosten genießen die Indizwirkung. Das ergibt sich daraus, dass der Geschädigte zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen eben nicht sicher sein kann, dass die einstandspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers diese Kosten in voller Höhe ersetzt. Schon aus diesem Grunde sieht das erkennende Gericht ein Indiz dafür, dass der Geschädigte den Rechnungsbetrag für angemessen hält. Im zu entscheidenden Fall lag der Berechnung des Sachverständigen die BVSK-Honorartabelle zugrunde. Aber auch dann, wenn keine Honorartabelle zugrunde gelegt ist, darf die Abrechnung in Relation zur Schadenshöhe eine ähnliche Indizwirkung auslösen. Insoweit schließt sich das erkennende Gericht der Entscheidung des OLG München – 10 U 1073/16 – an. Die vom BGH in seiner Entscheidung vom 22.7.2014 – VI ZR 357/13 – angeführten Gründe, die zu einer Ablehnung der BVSK-Umfrage geführt haben, treffen bei der Erhebung aus dem Jahr 2015 nicht zu. Dass die Nebenkosten vorgegeben wurden, stellt die Tauglichkeit der BVSK-Honorarumfrage 2015 nicht in Frage.
Fazit und Praxishinweis: Zu Recht hat die Berufungskammer des LG Hannover die Indizwirkung der berechneten Sachverständigenkosten auch auf die noch nicht bezahlten Kosten bezogen. Damit stellt sich die Berufungskammer mit zutreffender Begründung gegen die jüngste Rechtsprechung des BGH, der die Indizwirkung nur auf bezahlte Kosten beziehen will (vgl. BGH DS 2016, 323 m. krit. Anm. Wortmann; Offenloch ZfS 2016, 244). Kritisch betrachtet werden kann die Bezugnahme auf die BVSK-Honorarbefragung 2015, denn der BGH hatte ausdrücklich entschieden, dass der Geschädigte diese nicht kennen muss. Was aber der Geschädigte nicht kennen muss, kann auch das Gericht nicht als Maßstab verwenden.