OLG München zur Beweislast bei behauptetem Mitverschulden am Unfall
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RobGal -
25. September 2015 um 13:21 -
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Beide Beteiligten fuhren dann gemeinsam weg. Dabei fuhr der Beklagte vor dem Kläger. Beide befanden sich auf einer öffentlichen Straße. Der Beklagte zog nach links, um die Straße zu überqueren, als der Kläger gerade im Begriff war, den Beklagten zu überholen. Der Kläger erschrak über das plötzliche Fahrmanöver des Beklagten. Er stürzte mit dem Roller. Er verlangt von dem Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Beklagte wandte ein, dass den Kläger ein erhebliches Mitverschulden träfe. Das in erster Instanz zuständige Landgericht nahm ein solches Mitverschulden an, weil der Kläger mit recht erheblicher Geschwindigkeit gefahren sein müsste. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte Erfolg.
Das vom Landgericht angenommene Mitverschulden bei dem Kläger ist zu beweisen. Die vom Landgericht im Urteil getroffene Feststellung, dass der Kläger zu schnell gewesen sein dürfte, reicht nicht aus, um dem Kläger ein Mitverschulden anlasten zu können. Zunächst hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass gegen den Beklagten als Linksabbieger ein Anscheinsbeweis spricht. Danach war aber zu prüfen,ob den Kläger ein Mitverschulden trifft.Ebenfalls noch zutreffend geht das Erstgericht davon aus, dass der Beklagte dem Kläger von diesem verursachte Mitverursachungsbeiträge oder zuzurechnendes Mitverschulden anspruchs-mindernd entgegenhalten kann. Jedoch wird vom Landgericht übersehen, dass insoweit nur Faktoren berücksichtigt werden dürfen, die unstreitig oder erwiesen zur Entstehung des Schadens beigetragen haben und dem Kläger zuzurechnen sind (BGH NJW 2007, 506, 507).
Zu Recht stützt das Landgericht das Mitverschulden des Klägers ausdrücklich weder auf eine überhöhte Geschwindigkeit, noch auf das Überholverbot nach § 5 III Nr. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage. Es geht vielmehr davon aus, dass der Kläger höchstens mit 45 km/h gefahren sein konnte. Soweit der Beklagte dies bezweifeln möchte, zeigt er durchgreifende Mängel der Beweiswürdigung nicht auf, sondern verfolgt den im Berufungsverfahren nicht zielführenden Versuch, eigene Bewertungen der Parteiangaben und Zeugenaussagen, sowie des erwünschten Ergebnisses an die Stelle der Beweiswürdigung des Gerichts zu setzen. Entscheidend ist jedoch die Beurteilung des hierzu vorrangig berufenen Tatrichters (vgl. BGH NJW 1988, 266; BayObLG NZM 2002, 449; siehe auch: BGH NJW 1988, 566), umso mehr, als die Einschätzung des Beklagten wegen offensichtlicher Eigeninteressen an einem gegenteiligen Ausgang des Rechtsstreits kein geeignetes Maß an Unvoreingenommenheit und Objektivität bieten kann.
Das Landgericht findet in dem angefochtenen Urteil ein Mitverschulden des Klägers darin, dass er- obwohl mit dem Roller noch nicht vertraut, doch mit einer recht erheblichen Geschwindigkeit unterwegs gewesen sein dürfte - und mit gleichartiger Unerfahrenheit des Beklagten und der Geräuschlosigkeit seines Fahrzeugs habe rechnen müssen. Diese Feststellung beanstandet die Berufung des Klägers zu Recht. Einerseits beruhen die Erwägungen des Landgerichts auf Vermutungen statt auf Tatsachenfeststellungen. Der BGH hatte bereits in der Entscheidung in NJW 1995, 1029 geurteilt, dass nur solche Umstände Berücksichtigung finden können, die sich erwiesenermaßen auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Senat würdigt deswegen, nach Überprüfung und eigenständiger Bewertung, das erstinstanzliche Beweisergebnis in der Weise, dass ein Mitverschulden des Klägers nicht nach-gewiesen ist und deswegen der Beklagte uneingeschränkt haftet.
Fazit und Praxishinweis: Mit dem vorstehend beschriebenen Urteil hat der 10. Zivilsenat zu der Beweislast bei einem Verkehrsunfall entschieden, bei dem ein Mitverschulden des geschädigten bzw. verletzten Verkehrsteilnehmers in Betracht kommt. Nur solche Umstände können dabei Berücksichtigung finden, die sich erwiesenermaßen auf den Unfall ausgewirkt haben. Das Mitverschulden muss sich aus objektiven Tatsachen beweisen lassen.