BGH entscheidet erneut über einen Parkplatzunfall mit Rückwärtsfahrer
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RobGal -
12. April 2017 um 13:59 -
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Die spätere Klägerin macht gegen den beklagten Kfz-Führer und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung nach einem Verkehrsunfall vom 3.7.2014 auf einem Parkplatz eines Baumarktes geltend. Der beklagte Fahrer fuhr am Unfalltag mit dem bei der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Fahrzeuges auf dem Fahrweg zwischen zwei im rechten Winkel dazu angeordneten Parkbuchten. Dabei fuhr er vorwärts in eine aus seiner Sicht rechts gelegene Parkbucht, um sogleich wieder rückwärts aus der Parkbucht herauszufahren. Die spätere Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem Pkw in einer gegenüberliegenden Parkbucht. Sie fuhr, nachdem sie gesehen hatte, dass der beklagte Fahrer mit seinem Pkw in die Parkbucht eingefahren war, mit ihrem Fahrzeug rückwärts aus ihrer Parkbucht und hielt auf dem Fahrweg ihr Fahrzeug an. Noch ehe sie den Vorwärtsgang einschalten konnte, kam es zur Kollision mit dem beklagten Fahrer und dessen rückwärts ausgeparkten Pkw. Durch die Kollision wurde das Fahrzeug der Klägerin auf der Fahrerseite beschädigt. Die Parteien streiten über den Unfallhergang. Die hinter dem beklagten Fahrer stehende Kfz-Haftpflichtversicherung hat den Schaden der Klägerin auf einer Grundlage der Haftungsquote von 50 % reguliert. Die Klägerin beansprucht vollen Schadensersatz. Das Amtsgericht Strausberg hat mit Urteil vom 29.1.2015 – 24 C 392/14 – die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichtes hat das Landgericht Frankfurt / Oder mit Urteil vom 25.1.2016 – 16 S 24/15 – zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin ihr Klagebegehren weiterhin geltend.
Die Revision hat Erfolg. Das angefochtene Urteil des LG Frankfurt an der Oder hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes streitet nach den getroffenen Feststellungen des Landgerichts kein Anscheinsbeweis für ein Mitverschulden der Klägerin. Die Revision beanstandet auch zu Recht die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 StVG. Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt wurden (vgl. BGH VersR 2012, 504 Rn. 5; BGH VersR 2014, 894 Rn. 18; BGH VersR 2016, 479 Rn. 10). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden. Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung nicht stand. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits stand.
Der erkennende VI. Zivilsenat hat in zwei Entscheidungen Grundsätze zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises gegen den Rückwärtsfahrer bei Parkplatzunfällen aufgestellt (vgl. BGH VersR 2016, 410 Rn. 15 und BGH VersR 2016, 479 Rn. 11). Danach ist die Vorschrift des § 9 V StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt die Vorschrift aber über § 1 StVO. Danach muss auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärtsfährt, sich so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und damit den Unfall zumindest mitverursacht hat. Dagegen liegt die für die Anwendung des Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regelmäßig nicht vor, wenn bei rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere rückwärtsfahrende Unfallfallbeteiligte in das Fahrzeug hineingefahren ist.
Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, dass ein Anscheinsbeweis auch für ein Mitverschulden der Klägerin sprechen würde. Denn nach den Feststellungen stand das Fahrzeug der Klägerin. Auf dieser tatsächlichen Grundlage steht eine Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten der Klägerin nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Die erforderliche Typizität liegt regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass ein Fahrzeugführer vor der Kollision rückwärtsgefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte in das Fahrzeug hineinfuhr. Ist ein Fahrzeugführer vorsichtig und umschauend rückwärtsgefahren und gelingt es ihm vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten Genüge getan, wie es § 1 StVO erfordert, und dann bleibt für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum mehr (vgl. BGH VersR 2016, 410 Rn. 15 mwN.). Nach diesen Ausführungen des erkennenden Senats ist die Rechtsstreitigkeit bereits wegen der fehlerhaften Anwendung des Anscheinsbeweises an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Allerdings wird das Berufungsgericht zu bedenken haben, dass der Unfall nicht unbedingt zu einhundert Prozent von dem beklagten Pkw-fahrer verursacht wurde. Vielmehr kann die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Klägerin zu berücksichtigen sein ebenso wie weitere sie erhöhende Umstände der Abwägung nach § 17 I, II StVG. Das wird das Berufungsgericht erneut zu überprüfen haben.
[color=#B22222]Fazit und Praxishinweis: [/color]Mit diesem Urteil hat der für Schadensersatz aus Verkehrsunfällen zuständige VI. Zivilsenat des BGH erneut über einen Parkplatzunfall mit rückwärts ausparkenden Fahrzeugen zu entscheiden gehabt. Allerdings stand nach den Feststellungen im Berufungsverfahren fest, dass eines der Fahrzeuge bereits stand, als das andere rückwärtsfahrende Fahrzeug in das stehend hineinfuhr. In diesem Fall ist regelmäßig nicht mehr von einem Anscheinsbeweis für das Verschulden des bereits stehenden Fahrzeugführers auszugehen. Es fehlt die erforderliche Typizität. Die erforderliche Typizität liegt regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass ein Fahrzeugführer vor der Kollision rückwärtsgefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte in das Fahrzeug hineinfuhr.