BGH urteilt zur Mitverursachung bei einem Unfall zwischen Fußgänger und Skifahrer
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RobGal -
9. Juni 2015 um 10:27 -
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Am 9.3.2009 ereignete sich in einem österreichischen Wintersportort in der Nähe der Jugendherberge ''G. Alm'' ein Unfall, bei dem ein Skifahrer schwer verletzt wurde. In der Nähe der Jugendherberge wartete ein Reisebus.
Davor stand eine Gruppe von Schülern mit ihrem Sportlehrer. Der spätere Kläger ist niedergelassener Zahnarzt, der am Unfalltag mit den Skiern die Zufahrt zur Jugendherberge überqueren wollte. Als der Kläger an der Schülergruppe vorbeifahren wollte, trat ein Schüler, dem ein Gegenstand aus dem Bus zugeworfen wurde, einen Schritt nach hinten, wobei er den Zahnarzt auf den Skiern umstieß. Dieser stürzte und erlitt unter anderem einen Oberschenkelhalsbruch.
Die Haftpflichtversicherung des Sportlehrers zahlte vorgerichtlich auf den materiellen Schaden des Klägers 14.000,-- € und auf den Schmerzensgeldanspruch 7.000,-- €. Mit der Klage vor dem Landgericht Berlin verlangt der Geschädigte weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 9.3.2009 zu ersetzen. Das LG Berlin hat mit Urteil vom 19.2.2013 – 27 O 86/12 – die Klage abgewiesen, weil es ein Verschulden des Beklagten verneint hat. Das im Berufungsverfahren angerufene Kammergericht hat die Berufung mit einstimmigen Beschluss vom 24.3.2014 – 20 U 69/13 – gemäß § 522 II ZPO zurückgewiesen. Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren in vollem Umfang weiter.
Die Revision hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Kammergerichts kann keinen Bestand haben, sofern das Berufungsgericht eine Haftung des Beklagten wegen eines überwiegenden Mitverschuldens des Klägers als ausgeschlossen erachtet. Das Berufungsgericht hält grundsätzlich im vorliegenden Fall eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach für gegeben, meint aber, dass die vorgerichtlich erbrachten Schadensersatzleistungen den Anspruch erfüllt hätten. Zur Haftungsquote gibt das Berufungsgericht aber keine Angaben. Ob die erbrachten Zahlungen die Ansprüche erfüllt haben, kann aber nur dann beurteilt werden, wenn die Haftungsquote festgestellt ist. Daran ermangelt es im angefochtenen Beschluss. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin durfte auch deshalb nicht zurückgewiesen werden, weil nach Auffassung des Berufungsgerichts das Begehren des Klägers zumindest in der Höhe der vorgerichtlich geleisteten Zahlungen begründet gewesen ist, das Erstgericht aber die Erstattung der vorgerichtlichen Kosten insgesamt abgewiesen hat.
Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich die Haftung des Beklagten nicht wegen eines überwiegenden Mitverursachungs- und Mitverschuldensbeitrages des Klägers verneinen. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist Sache des Tatrichters. Es kann in der Revision lediglich überprüft werden, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt wurden und ob bei der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt wurden. Es darf nur schuldhaftes Verhalten verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat(BGH VersR 2014, 80 Rn. 7).
Die bei einem Mitverursachungsfall vorzunehmende Abwägung kann bei besonderen Fallgestaltungen zu dem Ergebnis führen, dass einer der Beteiligten alleine für den Schaden aufzukommen hat (vgl. BGH VersR 1998, 474 f.). Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten ist aber unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (BGH VersR 2009, 234 Rn. 15). Diesen Grundsätzen wird der angefochtene Beschluss des KG Berlin nicht gerecht. Zutreffend hat das Berufungsgericht zwar das Verhalten des Beklagten als schuldhaft bezeichnet. Der Beklagte durfte sich auf öffentlichem Straßengrund nicht unaufmerksam rückwärts bewegen. Damit ist der in § 1 II StVO enthaltene Grundsatz verletzt, wonach sich jeder Verkehrsteilnehmer, auch Fußgänger, so zu verhalten hat, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Das Berufungsgericht hat allerdings die Sorgfalt des Klägers überspannt. Die Regelung des § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgestellten Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. BGHZ 34, 355, 363 f; BGH VersR 1981, 1178f.).
Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Minderung des Anspruchs des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (BGHZ 9, 316, 318). Es erscheint nämlich unbillig im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (BGH VersR 1998, 1443, 1445).Dem Kläger kann im vorliegenden Fall nicht vorgeworfen werden, dass er nicht durch Zuruf auf sich aufmerksam machte. Insoweit hätte das Berufungsgericht noch weiter aufklären müssen. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Die Rechtsstreitigkeit ist zur erneuten Verhandlung und neuen Entscheidung nach weiteren Aufklärungen durch das Gericht an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fazit und Praxishinweis:
Im vorliegenden Fall hat das Kammergericht die Sorgfaltspflichten des Skiläufers überspannt. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens gemäß § 254 II BGB ist nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen. Nur vermutete Teilbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung haben bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile außer Betracht zu bleiben. Nur wenn das Maß der Verantwortlichkeit beider Beteiligter am Zustandekommen des Unfalls feststeht, ist eine sachgerechte Abwägung möglich.