Crashtest: Kleintransporter sind schnell, schwer, unübersichtlich – und gefährlich
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RobGal -
20. Juli 2015 um 11:05 -
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Die Kleintransporter sind gefürchtet. Ihre Lenker sind jung, fahren schnell – ''dynamisch'' hieße es in der Werbung – und sind oft ziemlich rücksichtslos unterwegs. 2,2 Millionen Lieferwagen bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht sind in Deutschland zugelassen.
Allein im vergangenen Jahr kamen 230.000 neu hinzu. Bei Unternehmen wie Privatpersonen sind Sprinter, Crafter, Ducato, Transit und Co. sehr beliebt, dürfen sie doch mit Pkw-Führerschein gefahren werden; ein Sonn- und Feiertagsfahrverbot gibt es für sie auch nicht. So ist es nicht verwunderlich, dass zwischen 2010 und 2014 ihre Zahl hierzulande um 16 Prozent wuchs.
Aber: Für die Fahrer gibt es keine Weiterbildung, es reicht der normale Pkw-Führerschein (Klasse B). Folge: "Sie verursachen knapp die Hälfte aller Unfälle mit Personenschaden, an denen Güterkraftfahrzeuge beteiligt sind", so die Axa. Die Versicherung schätzt die Lieferwagen als "schnell, schwer, unübersichtlich und gefährlich" ein.
Die Statistik des Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gibt einen tieferen Einblick: Über 60 Prozent der Lieferwagenunfälle im Jahr 2013 geschahen innerorts, rund jeder vierte auf der Landstraße und jeder zehnte auf der Autobahn. Von 1995 bis 2013 ging die Unfallrate der Kleintransporter um mehr als zehn Prozent in die Höhe. Auch weil die Fahrer unter Zeitdruck stehen. Mangelnde Aufmerksamkeit, Ablenkung oder Müdigkeit kann zusammen mit einer schlechten Ladungssicherung "verheerende Folgen haben", so die Unfallforscher der Axa.
Die Polizei geht davon aus, dass bei knapp zwei Dritteln dieser Unfälle der Fahrer schuld am Crash war. Die Axa fordert deshalb eine regelmäßige Weiterbildung für gewerbliche Nutzer. Aber auch privat gefahrene Kleintransporter sind häufig in Unfälle verwickelt. Laut Axa verursachen sie "44 Prozent mehr Sachschäden in der Kfz-Haftpflichtversicherung als Pkw". Ob privat oder gewerblich: Die Transporter in der 3,5-Tonnen-Klasse sind nicht nur häufiger in Unfälle verwickelt als Pkw, die Schäden sind oft auch "besonders heftig", weiß die Axa. Eine Untersuchung des ADAC ergab, dass unangepasste Geschwindigkeit und zu geringer Abstand zu den häufigsten Unfallursachen bei Kleintransportern gehören. Die aktuellen Unfallzahlen des Statistischen Bundesamtes für das erste Halbjahr 2015 bestätigen dies. "Nach wie vor spielt die nicht angepasste Geschwindigkeit eine wichtige Rolle im Unfallgeschehen: 34,3 Prozent aller Todesopfer und 23,4 Prozent aller Schwerverletzten waren auf diese Unfallursache zurückzuführen." Auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) warnt: "Hohe Geschwindigkeiten gepaart mit mangelndem Sicherheitsabstand führen immer wieder zu schweren Unfällen."
Gelegenheitsfahrt: Nur mit Einweisung und Probefahrt
Vor allem Gelegenheitsfahrer, die einen Transporter für den Umzug oder Möbelkauf mieten, haben Schwierigkeiten mit den ungewohnten Ausmaßen der Fahrzeuge, dem besonderen Fahrverhalten und dem relativ großen toten Winkel. Das sind sie nicht gewohnt. Für die Unfallforscher der Axa sind die Dimensionen der Kleintransporter "eine gemeinhin unterschätzte Gefahr". Zu-dem sind die Lieferwagen schnell über- oder falsch beladen. "Dadurch ändert sich die Fahrdynamik, der Bremsweg verlängert sich und die Ladung kann Unfälle verursachen oder Unfallfolgen verschlimmern", betont Bettina Zahnd, Leiterin der schweizerischen Axa-Winterthur-Unfallforschung. Sie bemängelt, dass die Vermieter von Kleintransportern ihrer Verantwortung gegenüber den Kunden selten gerecht werden. Nur 19 Prozent der Gelegenheitsfahrer erhalten vom Vermieter Instruktionen über die Besonderheiten der Fahrzeuge, ergab eine Axa-Umfrage. Bettina Zahnd: "Aufklärung und eine Probefahrt sind aber unerlässlich."
"Die Bauweise von Lieferwagen – die hohe Motorhaube, die steile Front – bildet bei Personenunfällen eine große Gefahrenquelle", betont Zahnd. "Besonders Kinder sind gefährdet." Bei einem Crashtest, bei dem ein Unfall mit einem Lieferwagen nachgestellt wurde, demonstrierten die Axa-Unfallforscher die Wucht, mit der ein Kind von einem solchen Fahrzeug getroffen wird. Der Lieferwagen fuhr etwa 50 km/h, als das Kind (ein Dummy) zwischen geparkten Pkw hervorsprang. Der Wagen erfasste das Kind mit der Front und schleuderte es mit Wucht etliche Meter weit auf die Straße. Der Aufprall war heftig, die Kopfverletzungen wären schwerst bis tödlich gewesen. Das Fahrzeug wurde dagegen nur leicht beschädigt, der Fahrer hätte unverletzt aussteigen können.
Unfallforscherin Zahnd mahnt: Kinder sind spontan und können die Gefährlichkeit eines fahrenden Autos noch nicht begreifen. Lieferwagenfahrer sollten daher in der Nähe von Wohngebieten, Schulen und Kindergärten generell mit gedrosseltem Tempo und erhöhter Aufmerksamkeit unterwegs sein.