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Ethikkommission: Autonomes Fahren darf einzig der Sicherheit dienen
„Menschenleben dürfen nicht aufgerechnet werden“ / Haften soll der Hersteller / Keine Überwachung gefordert

RobGal

Autonomes Fahren lässt sich so fassen, dass ein Computer oder Steuerungssystem vom Autofahrer einige wenige, mehrere oder in der Endstufe gar alle Fahraufgaben übernimmt. Die verschiedenen Autonomisierungsgrade werden in aufsteigenden Stufen kategorisiert.
In Stufe 1 wird der Fahrer „assistiert“, etwa von einem Tempomat. In der „teilautomatisierten“ Stufe 2 werden ihm einfache Quer- und Längsbewegungen in bestimmten Situationen abgenommen, zum Beispiel beim automatischen Parken oder von einem Spurhalte- oder Stauassistenten. Dabei muss der Fahrer das System dauerhaft überwachen. Technologien dieses Levels sind in modernen Autos bereits verbreitet.

In der „hochautomatisierten“ Stufe 3 fährt der Wagen streckenweise eigenständig, etwa auf der Autobahn, und hält dabei die Verkehrsregeln ein. Der Fahrer kann sich derweil anderen Dingen widmen, muss aber stets gewahr sein, das Steuer zu übernehmen, wenn das System an seine Grenzen kommt. In Stufe 4 gilt „Vollautomatisierung“: Das Auto wird dauerhaft vom System geführt, der Fahrer muss nur noch ausnahmsweise eingreifen. Zum Schluss, bei Stufe 5, ist ein Cockpit mit Lenkrad und Pedalen nicht mehr erforderlich, das Gefährt bewegt sich vollständig „fahrerlos“.

Technische Herausforderungen, juristische Probleme, Skepsis in der Bevölkerung

Diese Funktionen sind eine komplexe Aufgabe, implizieren viele Risiken und eine hohe Verantwortung für die Entwickler. Die rundum automatisierte Lenkung wird nach Aussagen von Experten noch Jahrzehnte dauern. Neben technischen Problemen sind vor allem Fragen der Ethik und des Haftungsrechts ungelöst. Zudem sind große Teile der Bevölkerung und der Öffentlichkeit skeptisch eingestellt. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und die Automobilindustrie gehen aber davon aus, dass Autos der teilautomatisierten Stufe 3 bereits ab dem Jahr 2020 vollständig einsatzfähig sein werden; sie forcieren diese Entwicklung politisch und technologisch.

Daher berief Dobrindt vor einem Jahr eine Ethikkommission unter der Leitung des Verfassungsrechtlers Udo Di Fabio ein, die jetzt erste Leitlinien für das automatisierte und vernetzte Fahren vorstellte. Ihr gehören 14 Experten aus den Fachrichtungen Ethik, Recht, Technik und Verkehr an.

Die Kommission geht davon aus, dass nicht der wirtschaftliche Nutzen, sondern die Sicherheit im Vordergrund stehen muss. Ist dieser Zweck erfüllt, sei sogar eine staatliche Förderung des Systems geboten, weil das autonome Fahren dann Todesfälle und Verletzte im Straßenverkehr vermeiden könne. Aus diesem Grund gilt Personenschutz vor Sach- und Tierschutz.

Besonders stark wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, was ein autonomes Fahrzeug bei einer Dilemmasituation tun soll, wenn eine Kollision mit anderen Menschen nicht zu vermeiden ist, aber je nach Reaktion des Autos diese oder jene Gruppe stärker getroffen wird. Diese Kontroverse nahm vor wenigen Monaten an Fahrt auf, als ein Vertreter eines Automobilkonzerns in der Öffentlichkeit laut darüber nachdachte, dass ein Kunde in der Zukunft mit dem Kauf eines Autos auch den bevorzugten Schutz seiner Insassen erwirbt, selbst wenn dadurch andere Personen umso stärker in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Hersteller dementierte sofort. Hierzu sagt die Kommission, dass eine Unterscheidung oder Wertung zwischen potentiellen Unfallopfern nicht vorgenommen werden dürfe. „Auch im Notstand dürfen Menschenleben nicht gegeneinander ‚aufgerechnet’ werden“, wird im Bericht festgestellt. Die Tötung eines Menschen durch autonome Systeme sei „ausnahmslos als Unrecht“ zu bewerten.

Weniger eindeutig zeigt sich die Kommission, wenn es darum geht, die Zahl der Verunglückten zu reduzieren. Umständlich formuliert sie, dass es in solchen Situationen „vertretbar zu fordern“ erscheine, „es solle die Handlungsvariante gewählt werden, die möglichst wenig Menschenleben kostet“. Einen Konsens gibt es in der Expertengruppe aber nicht, ob relativ wenige Menschen geopfert werden sollen, um eine größere Zahl zu retten.

Wer haftet?

Strittig wird auch erörtert, wer haftet, wenn das autonome Fahrzeug einen Unfall verschuldet. Hier prallen die widerstreitenden Interessen von Versicherungen, Autoherstellern und Verbrauchern aufeinander. Für die Kommission ist klar: Ein Autobesitzer habe nur dann zu haften, wenn er selbst das Fahrzeug steuert. Ansonsten stünden die Hersteller und Betreiber in der Pflicht; es sei denn, der Hersteller habe alles Zumutbare unternommen, um die Systeme so sicher wie möglich zu machen. Auch ein Airbag-Produzent werde nicht haftbar gemacht, wenn er das Produkt sorgfältig entwickelt hat und trotzdem ein Mensch durch einen ausgelösten Prallsack zu Schaden kommt.

In Sachen Datenschutz und -sicherheit ergreift die Ethikkommission Partei für die Datenhoheit der Verbraucher. Eine vollständige Vernetzung der Fahrzeuge im Zusammenhang mit einer digitalen Infrastruktur und mit anderen Verkehrsbereichen (Bahn, Flugzeug) hält sie dann für „bedenklich“, wenn eine „totale Überwachung“ oder technische Manipulation nicht ausgeschlossen werden kann. Der Fahrer müsse grundsätzlich selbst über die Weitergabe und Verwendung seiner Fahrzeugdaten entscheiden können. Das setze, betont die Kommission, „ernsthafte Alternativen“ voraus. „Einer normativen Kraft des Faktischen, wie sie etwa beim Datenzugriff durch die Betreiber von Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken vorherrscht, sollte frühzeitig entgegengewirkt werden“, hebt die Kommission ausdrücklich hervor. Lernende Systeme im Auto akzeptiert die Ethikkommission einzig zur Verbesserung der Sicherheit. Ein Szenarien-Katalog samt Abnahmetests sollte in der Zuständigkeit einer neutralen Instanz liegen, fordern die Fachleute.

Die Kommission möchte ihre Empfehlungen als Diskussionsgrundlage verstanden wissen. Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch auf Aufklärung über neue Technologien und ihren Einsatz, die zudem von einer unabhängigen Stelle geprüft werden sollte.

Der rechtliche Rahmen für das autonome Fahren wurde im Mai geschaffen, die öffentliche Auseinandersetzung wird fortgesetzt, verantwortungsvolles Fahren bleibt geboten.
Quellen
    • Text: Kristian Glaser/Olaf Walther (Kb)
    • Foto: iQoncept - Fotolia.com