Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

BGH entscheidet zu Unfall auf einem nicht von Schnee geräumten Gehweg in München
BGH – VIII. Zivilsenat – Urteil vom 21.2.2018 – VIII ZR 255/16 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

In den Wintermonaten kommt es immer wieder zu Schnee- und Glatteisunfällen auf nicht oder nur unzureichend geräumten Gehwegen. Der Verletzte versucht dann, von dem Verantwortlichen Schadensersatz und Schmerzensgeld zu erhalten. Häufig ist aber nicht klar, wer für das Räumen des Gehweges vor einem Privatgrundstück verantwortlich ist. So musste der Verletzte auch in dem letztlich vom BGH entschiedenen Rechtsstreit zunächst vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht München klagen. Die Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld blieb allerdings in allen Instanzen ohne Erfolg.
Am 17.1.2010 stürzte der spätere Kläger gegen 9.10 Uhr beim Verlassen eines Wohnhauses in der Innenstadt von München, das im Eigentum der späteren Beklagten steht, auf dem öffentlichen Gehweg, der von der Stadt München nicht geräumt war. Die Beklagte ist Eigentümerin des Anwesens, in dem die frühere Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau des Klägers eine Wohnung angemietet hatte. Der Winterdienst mit Räum- und Streupflicht auf dem öffentlichen Gehweg vor dem Anwesen obliegt der Stadt München. Das ist zwischen den Streitparteien unstreitig. Die Stadt München hatte den Gehweg mehrfach geräumt und gestreut, allerdings nicht auf der gesamten Breite des öffentlichen Gehweges, und auch nicht bis zur Schwelle des unmittelbar an den Gehweg angrenzenden bebauten Grundstücks der Beklagten. Die Beklagte hatte auch ihrerseits den Streifen bis zum Eingang ihres Wohnhauses nicht gestreut, weil sie ihrer Ansicht nach dazu nicht verpflichtet war. Bei dem Sturz auf dem nicht gestreuten Teil des Gehweges zog sich der Kläger eine Knöchelfraktur rechts zu. Er klagte gegen die beklagte Eigentümerin des Wohnhauses auf Zahlung materiellen Schadensersatzes in Höhe von rund 4.300,-- € sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfall. Der Stadt München wurde der Streit verkündet. Das in erster Instanz zuständige Landgericht München wies mit urteil vom 14.1.2016 – 2 O 28823/13 – die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung wurde von dem OLG München mit Urteil vom 6.10.2016 – 1 U 790/16 – zurückgewiesen. Auch die Revision bei dem für Wohnraummietrecht zuständigen VIII. Zivilsenat des BGH blieb ohne Erfolg.

Die Revision ist unbegründet. Ein Vermieter und Grundstückseigentümer, dem die Gemeinde nicht die allgemeine Räum- und Streupflicht übertragen hat, ist regelmäßig nicht verpflichtet, auch über die Grundstücksgrenze hinaus Teile des öffentlichen Gehweges zu räumen und zu streuen. Zwar ist ein Vermieter aus dem Mietvertrag, in dessen Schutzbereich auch der Kläger als damaliger Lebensgefährte der Mieterin mit einbezogen war, verpflichtet, dem Mieter und dessen Besuch während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache und damit auch den Zugang zu dem Anwesen zu gewähren, § 535 I BGB. Dazu gehört es grundsätzlich auch, dass die Wege auf dem Grundstück von Hauseingang bis zum öffentlichen Gehweg gestreut und geräumt werden, damit kein Mieter oder dessen Besuch zu Fall kommt. Das ergibt sich auch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 I BGB. In dem Streitfall ist der Kläger allerdings nicht auf dem Grundstück der Beklagten, sondern auf dem öffentlichen Gehweg gestürzt. Die dem Vermieter seinen Mietern gegenüber obliegende, sich aus dem Mietvertrag ergebende, Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich regelmäßig nur auf den Bereich des Grundstücks. Entsprechendes gilt für die allgemeine, sich aus dem Deliktsrecht ergebende, Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers. Eine derartige Verkehrssicherungspflicht auf dem öffentlichen Gehweg besteht grundsätzlich nur dann, wenn die Räum- und Streupflicht für den öffentlichen Gehweg von der Gemeinde auf den Anlieger, bzw. Eigentümer des angrenzenden Grundstücks, übertragen worden ist. Im Streitfall lag die Verkehrssicherungspflicht für den öffentlichen Gehweg vor dem Anwesen der Beklagten aber eindeutig bei der Stadt München als Streitverkündete dieses Rechtsstreits. Eine Ausweitung der Verkehrssicherungspflicht über das Grundstück des Vermieters hinaus kommt nur ausnahmsweise bei Vorliegen ganz außergewöhnlicher Umstände in Betracht, die hier allerdings nicht vorliegen. Das OLG München als Berufungsgericht hat daher mit Recht als dem Kläger zumutbar angesehen, dass er mit der gebotenen Sorgfalt und vorsichtig den schmalen nicht geräumten Streifen auf dem öffentlichen Gehweg überquert, um dann auf den von der Stadt München geräumten Streifen zu gelangen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Fazit und Praxishinweis: In diesem konkreten Schadensfall hat der für Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH die der Stadt als Eigentümerin des öffentlichen Gehwegs obliegende Verkehrssicherungspflicht räumlich genau gegen die dem anliegenden Eigentümer obliegende Verkehrssicherungspflicht abgegrenzt. An der Grundstücksgrenze des Anwesens des Anliegers endet grundsätzlich die Verkehrssicherungspflicht des an den öffentlichen Gehweg unmittelbar angrenzenden Eigentümers. In dem konkreten Fall war es so, dass die Stadt München die Schneeräum- und Streupflicht für den öffentlichen Gehweg besaß. In verschiedenen Ortssatzungen bürdet die entsprechende Gemeinde allerdings die Räum- und Streupflicht auf dem öffentlichen Bürgersteig dem unmittelbar angrenzenden Anlieger auf. Dann muss der Anlieger auch den Gehweg vor seinem Eigentum im Winter bei Schneefall oder Glatteis streuen und räumen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung