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BGH urteilt zum Nutzungsausfallschaden bei einem nur von März bis Oktober zugelassenen Motorrad
BGH - VI. Zivilsenat – Urteil vom 23.1.2018 – VI ZR 57/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Verkehrsunfälle ereignen sich nicht nur mit Kraftwagen, sondern auch mit Fahrrädern oder Motorrädern. Bei Personenkraftfahrzeugen ist allgemein anerkannt, dass der Geschädigte wegen des Entzugs der Nutzungsmöglichkeit an seinem durch Unfall beschädigten Fahrzeug von dem Schädiger eine Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen kann. Hat auch der Eigentümer eines Motorrades den Schadensersatzanspruch auf Entschädigung des Nutzungsausfalls?
Diese Frage hatte jüngst der für Schadensersatz zuständige VI. Zivilsenat des BGH zu entscheiden. Der BGH sieht auch bei einem Motorrad, das durch einen Unfall beschädigt wurde und nicht mehr genutzt werden kann, einen Vermögensschaden, der einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung darstellen kann, wenn das Motorrad als einziges Kraftfahrzeug zur Verfügung steht und nicht reinen Freizeitzwecken dient.

Am 5.9.2014 stieß der spätere Beklagte aus Unachtsamkeit das Motorrad Honda CBF 1000 des späteren Klägers um. Das Motorrad war allerdings nur für die Zeit von Anfang März bis Ende Oktober zugelassen. Das Motorrad des Geschädigten wurde beschädigt. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers beauftragte einen Sachverständigen, das Motorrad zu begutachten. Das Gutachten des Sachverständigen der Haftpflichtversicherung ging dem Geschädigten am 11.10.2014 zu. Der Geschädigte ließ am 13.12.2014 das Motorrad soweit Instand setzen, dass die Fahrbereitschaft wieder hergestellt war. Die hinter dem Schädiger stehende Haftpflichtversicherung erstattete die Kosten der Notteilreparatur in Höhe von knapp 100,-- € und auf die geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung einen Betrag von 25,-- €. Mit seiner Klage vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Tostedt b4eanspruchte der Geschädigte restliche Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit vom Unfalltage, dem 5.9.2014 bis zum 14.10.2014 (40 Tage) in Höhe von täglich 45,-- € abzüglich der ersetzten 25,-- €, insgesamt also 1.775,-- € sowie Ersatz des Kostenvoranschlags von 45,-- € und der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Das AG Tostedt sprach mit Urteil vom 29.6.2016 – 4 C 80/16 – lediglich die Kosten des Kostenvoranschlags zu. Im Übrigen wies es die Klage zurück. Auf die Berufung des Klägers hat das LG Stade mit Urteil vom 29.12.2016 – 5 S 44/16 – lediglich den Zinsausspruch abgeändert und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom LG Stade zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch auf restlicher Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.775,-- € sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiter.

Soweit das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung darauf abstellt, dass der Kläger auf den alltäglichen Gebrauch des Motorrades nicht angewiesen gewesen sei, weil er eine Jahreskarte der öffentlichen Verkehrsbetriebe besitzt und nur ausnahmsweise und nur unter besonderen Bedingungen das Motorrad nutzt, nämlich nur von März bis Ende Oktober, und dann auch nur bei gutem Wetter, hält diese Argumentation der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Gebrauchsmöglichkeit des Motorrades, das dem Kläger als einziges Kraftfahrzeug zur Verfügung steht, ist als geldwerter Vorteil anzusehen. Der vorübergehende Entzug dieser Gebrauchsmöglichkeit stellt einen Vermögensschaden dar. Der Umstand, dass der Kläger sein Motorrad nur bei günstigen Wetterbedingungen nutzt, spielt erst im Rahmen der konkreten Schadensbetrachtung eine Rolle. Der Nutzungsausfallersatz b4eschränkt sich auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für eine eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist (BGH NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7, BGHZ 196, 101 Rn. 9; BGHZ 98, 212, 222 f.). Die Nutzungseinbußen sind dabei an objektiven Kriterien festzumachen. Bei der Prüfung, ob mach der objektiven Verkehrsanschauung der vorübergehende Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn immaterielle Schäden sind nach § 253 BGB nur ausnahmsweise zu ersetzen. Dieser restriktive Maßstab hat dazu geführt, dass der BGH mehrfach für den Nutzungsausfall von Gegenständen eine Entschädigung versagt hat, z.B. bei einem Wohnmobil (BGH NJW-RR 2008, 1198 Rn. 9), bei einem Motorsportboot (BGH Z 89, 60) und bei einem Wohnwagen (BGHZ 86, 128). In den genannten Fällen ist die Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs für den Nutzungsverlust letztlich daran gescheitert, dass sich der zeitweise Verlust unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nicht als wirtschaftlicher Schaden dargestellt hat, sondern als individuelle Genussschmälerung. Demgegenüber hat der BGH in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Entschädigung für den Fortfall der Nutzungsmöglichkeit von Kraftfahrzeugen grundsätzlich bejaht (vgl. nur: BGHZ 45, 212, 215; BGHZ 161, 151, 154; BGH NJW-RR 2008, 1198 Rn. 6, 8 mwN.).

Die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeuges stellt grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar, dessen vorübergehende Entziehung einen Vermögensschaden darstellt. Dient allerdings ein Kraftfahrzeug nur reinen Freizeitzwecken, so betrifft dieser Gesichtspunkt nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung und entzieht sich deshalb einer vermögensrechtlichen Bewertung (BGH NJW-RR 2008, 1198 Rn. 10 – Wohnmobilfall). Für die Zuerkennung einer Nutzungsentschädigung für den vorübergehen Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeuges muss die Entbehrung der Nutzung fühlbar geworden sein. Diese Grundsätze gelten auch für die Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrades. Verfügt allerdings der Geschädigte neben dem Motorrad auch noch über einen Pkw, betrifft dieser Gesichtspunkt nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung und entzieht sich damit einer vermögensrechtlichen Bewertung (BGH SP 2012, 438; BGH NZV 2012, 223). Der Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrades neben dem kein anderes Kraftfahrzeug dem Geschädigten zur Verfügung steht, kann einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung begründen (vgl. OLG Hamm MDR 1983, 932; OLG Düsseldorf NJW 2008, 1964). Daher kann ein Geschädigter, der sein Motorrad nur in der wärmeren Jahreszeit nutzen will und über kein anderes Kraftfahrzeug verfügt, Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen, wenn sein Motorrad während der wärmeren Jahreszeit beschädigt wird und er es deshalb nicht nutzen kann. Er darf nicht auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nutzt der Kläger in der Zeit von März bis Ende Oktober bei gutem Wetter das Motorrad, um zu seiner Arbeitsstelle zu fahren oder um Einkäufe zu tätigen. Daher stellt die Nutzung des Motorrades im konkreten Fall für den Kläger einen geldwerten Vorteil dar. Bei Entzug der Nutzungsmöglichkeit ist daher grundsätzlich Entschädigung zu leisten. Ob der Kläger im konkreten Fall das Motorrad in dem streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund der Witterungsverhältnisse hätte nutzen können, wie von ihm behauptet, muss das Berufungsgericht noch feststellen. Der Rechtsstreit ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fazit und Praxishinweis: In dem konkreten Fall, in dem der Geschädigte nur über ein Motorrad verfügt und kein weiteres Kraftfahrzeug zur Verfügung steht, hat der BGH – zu Recht – grundsätzlich eine Nutzungsausfallentschädigung zuerkannt, wenn das Motorrad auf Grund eines Unfalls nicht genutzt werden kann, weil die Fahrbereitschaft nicht gegeben ist. Daher war dieser Rechtsstreit anders zu beurteilen als diejenigen um beschädigte Wohnmobile, Wohnwagen oder Motorsportboote. Der BGH konnte den Rechtsstreit allerdings nicht abschließend entscheiden, da noch nicht geklärt war, ob der Kläger wegen der Witterungsverhältnisse tatsächlich auch das Motorrad alltäglich hätte nutzen können und wollen. Daher war der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen gewesen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung