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Inanspruchnahme der Kfz-Haftpflichtversicherung durch Dieb nach Verkehrsunfall ist treuwidrig
BGH – VI. Zivilsenat – Urteil vom 27.2.2018 – VI ZR 109/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Die Klägerin ist die Bundesagentur für Arbeit. Sie verlangt von der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung den Ersatz von Aufwendungen, die sie als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an einem bei einem Verkehrsunfall Geschädigten erbracht hat. Der Geschädigte war am Unfalltag, dem 9.9.2004, gerade 15 Jahre alt. Am Vortag, dem 8.9.2004 entwendeten er und sein damals 16 Jahre alter Bekannter einen bei der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Motorroller. Beide verfügten nicht über die für das Fahren eines solchen Rollers erforderliche Fahrerlaubnis. Dennoch fuhren sie mit dem Motorroller herum.
Am Morgen des 9.9.2004 kollidierte der 16-Jährige, der den Motorroller steuerte, mit dem 15-Jährigen auf dem Soziussitz an einer Kreuzung mit einem vorfahrtsberechtigten Kraftfahrzeug. Der 15 Jahre alte Sozius erlitt ein Polytrauma mit schwerem Schädelhirntrauma sowie weitere schwere Verletzungen, die unter anderem zu starken Sehbehinderungen und motorischen Einschränkungen führten. In den Jahren 2012 und 2013 besuchte der schwerverletzte Geschädigte eine Werkstatt für behinderte Menschen. Die Klägerin erbrachte dafür Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 112 ff SGB III in Verbindung mit §§ 33, 44 SGB IX. Insgesamt brachte sie knapp 30.000,- € auf. Mit ihrer Klage vor dem Landgericht Freiburg beansprucht sie von der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung des Motorrollers unter Zugrundelegung einer hälftigen Haftungsverteilung knapp 15.000,-- € sowie die Feststellung, dass die Beklagte jeden weiteren Schaden aus dem Unfall vom 9.9.204 zu ersetzen. Das LG Freiburg hat mit Urteil vom 17.10.2014 – 6 O 356/13 – die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin wurde durch das OLG Karlsruhe – Senat in Freiburg – mit Urteil vom 10.2.2017 – 14 U 175/14 – das Urteil des LG Freiburg abgeändert und der Klage gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Revision hatte Erfolg.

Die Revision ist begründet, denn entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch, der auf sie übergegangen ist, nicht zu. Bereits dem Geschädigten stand kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch gegen die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung zu. Zwar könnte der Geschädigte als Beifahrer möglicherweise einen Anspruch aus §§ 18 I, 7 I StVG für sich herleiten, wie das Berufungsgericht meinte. Aber im Falle einer Schwarzfahrt ist allgemein anerkannt, dass der unberechtigte Fahrer keinen Anspruch gegen den Halter hat. Im vorliegenden Fall greifen aber die Voraussetzungen der §§ 823 I, 823 II in Verbindung mit § 229 StGB ein. Der Fahrer des Motorrollers hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, an das das Revisionsgereicht gebunden ist, den Verkehrsunfall und damit auch die Verletzungen seines Sozius schuldhaft verursacht. Unzutreffend ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, der Schadensersatzanspruch des Geschädigten könne auch direkt gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Motorrollers geltend gemacht werden. Zwar liegen die Voraussetzungen des Direktanspruchs vor, denn der Geschädigte ist Dritter im Sinne des § 3 Nr. 1 Satz 1 PflVG a.F. Auch der Schädiger ist als unberechtigter Fahrer des Motorrollers nach § 10 II Buchst. C der AKB a.F. mitversicherte Person. Dass der Schädiger über die erforderliche Fahrerlaubnis nicht verfügt, ist für den Direktanspruch unerheblich. Einem Direktanspruch des Geschädigten steht aber in diesem Falle der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen. Die gegen § 242 BGB verstoßende Ausübung einer formalen Rechtsstellung ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig. Der Geschädigte hatte den Motorroller, mit dem er verunglückte, durch einen Diebstahl erlangt, den er zusammen mit dem Fahrer des Motorrollers begangen hatte. Die sich am nächsten Tag realisierte Gefahr, sich mit dem Diebesgut zu verletzten, war damit unmittelbare Folge einer vom Geschädigten selbst begangene Straftat. Dem Geschädigten ist es daher gemäß § 242 BGB verwehrt, gegenüber der Haftpflichtversicherung des Motorrollers einen Schadensersatzanspruch durchzusetzen. Stand dem Geschädigten kein Anspruch gegenüber der Haftpflichtversicherung zu, so kann durch den Anspruchsübergang auf die Klägerin auch kein durchsetzbarer Anspruch gegeben sein. Denn auch gegenüber der Klägerin stand der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung gemäß §§ 412, 404 BGB zu.

Fazit und Praxishinweis: Wird nach einem von zwei Mittätern begangener Fahrzeugdiebstahl der eine Täter als Beifahrer des entwendeten Kraftfahrzeugs bei einem von dem anderen Täter als Fahrer des Kraftfahrzeuges verursachten Verkehrsunfalls verletzt, so ist der verletzte Täter nach den Grundsätzen der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB daran gehindert, den ihm gegen den fahrenden Mittäter zustehenden Schadensersatzanspruch direkt gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des gestohlenen Kraftfahrzeuges geltend zu machen.
Quellen
    • Foto: Archiv Unfallzeitung