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OLG Oldenburg urteilt zur Haftung nach Auffahrunfall bei Vollbremsung
OLG Oldenburg Urteil vom 26.10.2017 – 1 U 60/17 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Bei einem Auffahrunfall wird schnell die Frage nach der Verantwortlichkeit des Unfallgeschehens gestellt. Der Beweis des ersten Anscheins spricht gegen den Auffahrenden. Es liegt dabei nahe, dass der Auffahrende mit nicht angepasster Geschwindigkeit fuhr oder unaufmerksam sein Fahrzeug steuerte oder zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten hat. Aber es sind durchaus auch Konstellationen denkbar, dass die Haftung quotiert wird. Einen derartigen Fall hatte letztinstanzlich das Oberlandesgericht Oldenburg zu entscheiden.
In Aurich befuhr ein Grundstückseigentümer mit seinem Kraftfahrzeug die Hauptstraße. Er wollte in die Grundstückseinfahrt zu seinem Anwesen fahren. Daher bremste er das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug fast bis zum Stillstand ab. Die beiden nachfolgenden Fahrer konnten die von ihnen gesteuerten Kraftfahrzeuge noch rechtzeitig abbremsen. Der dann folgende Fahrer eines Pkws schaffte es nicht, hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug rechtzeitig abzubremsen. Er fuhr auf das vor ihm anhaltende Kraftfahrzeug auf. In letzter Instanz musste das zuständige Oberlandesgericht Oldenburg über die Haftung entscheiden, denn der Versicherer des auffahrenden Fahrzeugs wandte ein, dass der in die Hauseinfahrt abbiegende Kraftfahrer grundlos sein Fahrzeug fast bis zum Stillstand abgebremst hat und damit den Bremsweg verkürzt hat. Das Gericht hat Zeugen vernommen. Diese haben angegeben, dass der abbiegende Autofahrer eine abrupte Vollbremsung durchgeführt habe und zudem noch nicht einmal den Richtungsanzeiger betätigt habe.

Der erkennende 1. Zivilsenat des OLG Oldenburg gewichtete die Verschuldensanteile am Zustandekommen des Auffahrunfalls mit 2/3 zu Lasten des Auffahrenden und zu 1/3 zu Lasten des abbremsenden Abbiegers. Zwar spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden. Jeder Verkehrsteilnehmer muss damit rechnen, dass ein vorausfahrendes Kraftfahrzeug abrupt abgebremst wird, weil sich plötzlich eine Gefahr auf der Straße bildet, z.B. ein auf die Straße laufendes Kind. Nachdem der abbiegende Kraftfahrer das Fahrzeug abrupt abgebremst hatte, haben es die beiden nachfolgenden Fahrer geschafft, ihre Fahrzeuge ebenfalls rechtzeitig abzubremsen. Lediglich das dritte Fahrzeug konnte nicht rechtzeitig abgebremst werden, was auf einen zu geringen Sicherheitsabstand schließen lässt. Eine andere Möglichkeit ist, dass dieser Fahrer unaufmerksam war. Auf jeden Fall trifft ihn daher die überwiegende Schuld am Zustandekommen des Auffahrunfalls. Allerdings darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch den abbiegenden Kraftfahrer ein Mitverschulden trifft. Hintergrund des abrupten Abbremsens war wohl, das sich der Fahrer durch einen Überholversuch des folgenden Fahrers provoziert gefühlt habe und diesen durch das plötzliche Abbremsen habe maßregeln wollen. Bei einem derartigen Verhalten muss sich der abbremsende Kraftfahrer ein Mitverschulden anrechnen lassen. Dieses Mitverschulden bewertete der Senat mit einem Drittel.

Fazit und Praxishinweis: Bei einem Auffahrunfall stellt sich schnell die Frage, wer für den Schaden verantwortlich und zum Schadensersatz verpflichtet ist Zwar spricht der widerlegbare Beweis des ersten Anscheins gegen den auffahrenden Kraftfahrer, weil er augenscheinlich zu schnell oder zu unaufmerksam unterwegs war oder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat. Aber es sind auch Fallgestaltungen denkbar, dass eine Quotelung der Haftung vorgenommen werden muss. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Fahrer grundlos abbremst. Dann kann den Vorausfahrenden ein Mitverschulden treffen. Die Verschuldensanteile muss dann allerdings das erkennende Gericht von Fall zu Fall feststellen.
Quellen
    • Foto: © Kamaga - Fotolia.com