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Keine Mithaftung beim Auffahren, wenn für Taube beim Anfahren gebremst wurde
AG Dortmund Urteil vom 10.7.2018 – 425 C 2383/18 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Wer auffährt, hat meist Schuld am Zustandekommen des Verkehrsunfalls. So oder so ähnlich lautet eine alte Weisheit unter Autofahrern, denn der Beweis des ersten Anscheins spricht gegen den auffahrenden Kraftfahrer. Entweder hat dieser mit dem von ihm gesteuerten Kraftfahrzeug einen zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten oder er war unaufmerksam. Es gibt aber auch Fälle, in denen der abbremsende Kraftfahrer zumindest eine Mitschuld am Zustandekommen des Auffahrunfalls trägt. Das kann unter Umständen angenommen werden, wenn der vorausfahrende Fahrer ohne ersichtlichen Grund abbremst.
Das meinte auch der Eigentümer des auffahrenden Fahrzeugs, nachdem es am 17.9.2017 in Dortmund an der Ampel an der S-Straße zu einem Auffahrunfall kam. Das vorausfahrende Fahrzeug bremste nämlich wegen eine Taube auf der Straße ab. Den Schaden an dem auffahrenden Fahrzeug wollte er von dem Fahrer und der Kfz-Versicherung des abbremsenden Fahrzeugs ersetzt erhalten. Da die Kfz-Haftpflichtversicherung vorgerichtlich eine Regulierung ablehnte, wurde der Fall bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht Dortmund rechtshängig gemacht.

Am 17.9.2017 um 11.36 Uhr musste der Zeuge T mit dem Kraftfahrzeug der Klägerin an der rotlichtzeigenden Lichtzeichenanlage auf der S-Straße in Dortmund anhalten. Vor ihm stand der Pkw, der von dem späteren Beklagten gelenkt wurde und der bei der ebenfalls beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versichert ist. Als die Lichtzeichenanlage auf Grün umwechselte, fuhren beide Fahrzeuge an. Nach wenigen Metern bremste der beklagte Fahrer des ersten Fahrzeugs wegen einer die Straße überquerenden Taube ab. Der dahinter fahrende Zeuge T fuhr mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug der Klägerin auf. An dem Fahrzeug der Klägerin entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden . Der Wiederbeschaffungswert ohne Mehrwertsteuer betrug 2.500,-- €, der Restwert 550,-- €. Für das Schadensgutachten wandte die Klägerin 603,94 € auf. Sie beansprucht weiterhin Nutzungsausfall für 14 Tage a 29,-- €, also insgesamt 406,-- € sowie eine allgemeine Unkostenpauschale von 30,-- €. Die Sachverständigenkosten waren an den Sachverständigen abgetreten. Die Klägerin erhob Klage, nachdem die Beklagten vorgerichtlich keinerlei Zahlung erbracht hatten, mit dem Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie insgesamt 2.391,95 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Amtsgericht Dortmund wies die mit Urteil vom 10.7.2018 ab.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Verkehrsunfall vom 17.9.2017 beruht bezüglich beider Fahrzeuge weder auf höherer Gewalt im Sinne des § 7 II StVG noch lag ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 III StVG vor. Es spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Zeugen T, also den Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin. Die Lebenserfahrung spricht bereits dafür, dass der Kraftfahrer, der auf ein vor ihm fahrendes oder stehendes Fahrzeug auffährt, entweder zu schnell oder mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist (BGHZ 192, 84). Nach § 4 I 1 StVO muss ein solcher Abstand eingehalten werden, dass zu dem davor fahrenden Fahrzeug ausreichender Sicherheitsabstand verbleibt, wenn plötzlich gebremst wird. Diesen ausreichenden Abstand hat der Zeuge T. offensichtlich nicht eingehalten. Der Beweis des ersten Anscheins kann aber ausgeräumt werden, wenn der Auffahrende einen anderen ernsthaften, typischen Geschehensablauf darlegt und beweist. Die Beklagten haben aber den gegen sie sprechenden Beweis des ersten Anscheins nicht entkräftet.

Das Bremsen für eine Taube war nicht ohne zwingenden Grund und stellt in dieser konkreten Situation keinen Verstoß gegen § 4 I 2 StVO dar. Der beklagte Fahrer durfte in der konkreten Situation abbremsen. Der Unfall ist bei sehr geringer Geschwindigkeit im Anfahrvorgang geschehen. Es waren aufgrund der geringen Geschwindigkeit keine Personenschäden zu erwarten. Allein, weil es sich bei der Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, dass der Kraftfahrer dieses Tier überfährt. Das Töten eines Wirbeltieres stellt nach den §§ 4 I, 18 I Nr. 5 Tierschutzgesetz (TierSchG) eine Ordnungswidrigkeit dar und ist dem Kraftfahrer nicht zuzumuten. Nicht anders ist der Fall zu sehen, wenn man den Sachverhalt der Beklagten zugrunde legt. Danach hat der beklagte Fahrer verkehrsbedingt gebremst. Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs aufgefahren ist, beweist, dass er zu geringen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug hatte. Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist die Schuld des auffahrenden oder zu unachtsam fahrenden Kraftfahrers höher einzuschätzen. Es ist in diesem Fall sogar von einer Alleinschuld des Auffahrenden auszugehen.

Fazit und Praxishinweis: Dieser Rechtsstreit zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, auch im städtischen Straßenverkehr einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten. Der Beweis des ersten Anscheins spricht regelmäßig gegen den Auffahrenden. Denn wäre aufmerksam und mit ausreichendem Abstand und mit angepasster Geschwindigkeit gefahren worden, wäre es nicht zu dem Auffahrunfall gekommen. Allerdings kann der Beweis des ersten Anscheins erschüttert werden. Dafür muss der Auffahrende aber einen anderen ernsthaften, typischen Geschehensablauf darlegen und beweisen.
Quellen
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