Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

Schädiger und einstandspflichtiger Kfz-Haftpflichtversicherer tragen nach Unfall das Werkstattrisiko
AG München Urteil vom 16.4.2018 – 332 C 4359/18 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

In jüngster Zeit werden selbst Rechnungen der Fachwerkstatt durch die eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherungen aufgrund der Prüfberichte der von ihnen beauftragten Prüfdienstleister gekürzt, obwohl der Rechnungsbetrag in voller Höhe den Geschädigten belastet. Dass es zur Reparatur in der Werkstatt kommen mu8sste, ist auf das Verschulden des versicherten Unfallverursachers zurückzuführen. Demnach hat der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer gemäß § 249 I BGB den Zustand wiederherzustellen, der ohne den Unfall bestanden hätte. Das bedeutet, dass der Geschädigte so gestellt werden muss, als ob es den Unfallschaden an seinem Kraftfahrzeug nicht gegeben hätte. Dementsprechend ist der Geschädigte auch berechtigt, den Unfallschaden in einer Fachwerkstatt seiner Wahl beseitigen zu lassen.
Sollte nach Ansicht der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung der Rechnungsbetrag zu hoch sein, weil ihrer Meinung nach unnötige Arbeiten zum Beispiel durchgeführt wurden, so geht das sogenannte Werkstattrisiko zu Lasten des Schädigers bzw. der Kfz-Haftpflichtversicherung. Das wollte die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung im Rechtsstreit, der vom Amtsgericht München entschieden werden musste, nicht wahrhaben. So bestand auf Kürzung des Rechnungsbetrages. Das Gericht gab jedoch dem Geschädigten mit zutreffender Begründung Recht.

Aufgrund eines Verkehrsunfalls wurde das Kraftfahrzeug des Geschädigten beschädigt. Der Unfallverursacher hatte dem Geschädigten die Vorfahrt genommen. Dadurch wurde die Vorderseite des Fahrzeugs des Geschädigten schwer beschädigt. Die Schuld am Zustandekommen des Verkehrsunfalls trägt unstreitig der Schädiger. Darüber besteht zwischen dem Geschädigten und der Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers kein Streit. Nach dem Unfall ließ der Geschädigte ein Schadensgutachten erstellen und gab anschließend das verunfallte Kraftfahrzeug in die Fachwerkstatt. Die Reparaturkostenrechnung in Höhe von rund 4.000,-- € reichte der Geschädigte bei der Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers ein. Diese wollte allerdings die Rechnung nicht in voller Höhe ersetzen. Sie meinte, die Reparaturrechnung sei schlicht überhöht und nicht nachvollziehbar. So seien in der Rechnung eine zweifache Spureinstellung vermerkt. Auch das sogenannte Lackfinish und Verbringungskosten wollte der eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherer nicht erstatten. Sie kürzte die Rechnung um 400,-- €. Sie meinte auch, der Geschädigte hätte die Rechnung der Werkstatt prüfen müssen, ob die ausgewiesenen Kosten korrekt seien. Fehler in der Rechnung, die leicht zu erkennen gewesen wären, hätten beanstandet werden müssen. Der Geschädigte war allerdings nicht bereit, bei dem unverschuldeten Schaden noch selbst 400,-- € zu tragen. Er klagte den gekürzten Betrag bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht München ein. Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg.

Die Klage auf Zahlung des restlichen Schadensersatzes ist zulässig und begründet. Der Kläger hat das Recht der freien Werkstattwahl. Selbst wenn die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung eine Werkstatt vorgeschlagen hätte und der Kläger diese Möglichkeit genutzt hätte, hätte der Schädiger das sogenannte Werkstattrisiko getragen. So ist es auch, wenn der Geschädigte eine Werkstatt für die Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustands beauftragt. Auch in diesem Fall trägt der Schädiger das Werkstattrisiko. Das bedeutet, dass vermeintlich überhöhte Preise oder Reparaturverzögerungen zu Lasten des Schädigers gehen. Der Kläger kann daher die restlichen Reparaturkosten ersetzt verlangen, auch wenn diese tatsächlich überhöht sein sollten. Der Geschädigte hat regelmäßig nur beschränkte Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten, wenn es um Werkstattleistungen geht. Ein Laie kann kaum nachvollziehen, was an seinem zu reparierenden Kraftfahrzeug gemacht werden muss und welche kosten hierfür anfallen werden.

Dem Kläger kann im konkreten Fall auch nicht zugemutet werden, zu beurteilen, ob eine Spureinstellung nur beim Vorliegen eines Vermessungsprotokolls notwendig ist und wie hoch die Lackierkosten sein dürfen und ob Verbringungskosten üblich sind oder nicht. Letzteres ist sogar eine juristische Frage, die mit der Gegebenheit des Reparaturbetriebes zusammenhängt. Insbesondere kann der Geschädigte nicht wissen, ob die Werkstätten in der Region über eigene Lackierbetriebe verfügen. Auch die Kenntnis über Spureinstellungen nach einem Unfall muss der Kläger als Geschädigter nicht haben. Eine Spureinstellung ist dann erforderlich, wenn das Kraftfahrzeug nach dem Unfall nach rechts oder links zieht oder beim Abbremsen nicht die Spur hält. In solchen Fällen muss nachjustiert werden. Wenn der erste Eingriff nicht das gewünschte Ergebnis erzielt, muss eben noch einmal nachjustiert werden. Auch diese Kosten sind durch den Schädiger zu ersetzen. Das Gleiche gilt für das sogenannte Lackfinish und die Verbringungskosten . Die Kürzung durch die Versicherung erfolgte daher zu Unrecht.

Fazit und Praxishinweis: Mit zutreffender Begründung hat das angerufene Amtsgericht München der Klage auf Zahlung des restlichen Schadensersatzes stattgegeben. Es ist absolut herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass der Schädiger das Werkstattrisiko trägt. Eventuelle Preiserhöhungen, überhöhte Preise oder Reparaturverzögerungen gehen grundsätzlich zu Lasten des Schädigers. In dem Augenblick, in dem der Geschädigte sein verunfalltes Kraftfahrzeug zur Reparatur in die Werkstatt seiner Wahl bringt, ist das Fahrzeug seinem Einflussbereich entzogen. Werkstattpreise oder die Dauer von einzelnen Arbeitsschritten muss der Geschädigte als Laie nicht kennen. Wenn ihm bei der Auswahl der Werkstatt kein Auswahlverschulden vorgeworfen werden kann, so kann und darf er auf die Erforderlichkeit der Reparaturschritte und die Richtigkeit der Reparaturrechnung vertrauen. Er kann und darf diese Rechnung seiner Schadensersatzforderung zugrunde legen.

Es handelt sich bei der konkreten Reparaturrechnung dann um einen konkreten Schaden, den der Geschädigte konkret nach § 249 I BGB abrechnet. Die in der konkreten Rechnung innewohnende Belastung mit einer Zahlungsverbindlichkeit ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als zu ersetzender Schaden anerkannt (BGHZ 59, 148, 149f; BGH NJW 1986, 581, 582f; BGH NJW 2005, 1112, 1113; BGH NJW 2007, 1809 Rn. 20; BAG NJW 2009, 2616 Rn. 18). Da die vom Geschädigten hinzugezogene Werkstatt der Erfüllungsgehilfe des Schädigers zur Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustands ist (vgl. BGHZ 63, 182 ff; Imhof/Wortmann DS 2011, 149 ff.), hat der Schädiger bei tatsächlich überhöhten Preisen oder bei von der Werkstatt verschuldeter Reparaturverzögerung bei seinem Erfüllungsgehilfen Regress zu nehmen. Der Streit über die Höhe der Werkstattkosten darf nicht auf dem Rücken der Geschädigten ausgetragen werden.
Quellen
    • Foto: © scusi - Fotolia.com