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OLG Düsseldorf zur Haftung bei Spurwechselunfall auf vierspuriger Autobahn A 40
OLG Düsseldorf Urteil vom 6.2.2018 – I-1 U 102/17

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Spurwechsel-Unfälle kommen zwar nicht selten vor, weil sich manchmal das überholende Fahrzeug gerade im toten Winkel befindet und daher übersehen wird, aber dieser vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedene Spurwechsler-Unfall, bei dem ein auf die vierte Spur wechselndes Personenfahrzeug mit einem auf der äußerst linken Fahrspur fahrenden Lkw mit polnischem Kennzeichen kollidiert, ist doch selten, und das auch noch auf einer Strecke der A 40, die in Fahrtrichtung Essen vierspurig ausgebaut ist. Sowohl das in erster Instanz zuständige Landgericht Duisburg als auch das OLG Düsseldorf gaben dem Pkw-Fahrer, der von der dritten auf die vierte Fahrspur überwechseln wollte, die Schuld am Zustandekommen des Spurwechsel-Unfalls, obwohl sich der polnische Lkw verbotswidrig auf der äußerst linken Fahrspur befand.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Schadensersatzforderung eines Pkw-Fahrers aufgrund des Unfalls während des Spurwechsels von der dritten auf die vierte Fahrspur gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des polnischen Lastkraftfahrzeugs, das sich verbotswidrig auf der äußerst linken der vier Fahrspuren der BAB A 40 in Richtung Essen befand. Am 30.10.2014 gegen 15.45 Uhr ereignete sich auf der A 40 kurz hinter dem Autobahnkreuz Duisburg in Fahrtrichtung Essen ein Verkehrsunfall. Der Kläger ist Eigentümer und Halter eines Pkw Daimler-Chrysler C 220 CDI. Am Unfalltag fuhr er mit diesem Pkw zunächst auf der Bundesautobahn A 59 (Dinslaken-Leverkusen) und wechselte im Kreuz Duisburg dann auf die A 40 in Fahrtrichtung Essen. Hinter dem Autobahnkreuz Duisburg ist die A 40 in Richtung Essen vierspurig ausgebaut. Aufgrund eines Unfalls auf der A 40 staute sich der dortige Verkehr. Der Kläger wechselte von der Einfädelspur über die rechte Fahrspur, dann die zweite Fahrspur auf die dritte Fahrspur Richtung Essen. Auf der äußerst linken Fahrspur fuhr ein bei der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherter Lkw mit polnischen Kennzeichen. Der Kläger beabsichtigte bei passender Gelegenheit von der dritten auf die vierte Fahrspur überzuwechseln. Als der vor dem polnischen Lkw befindliche Pkw langsam vorfuhr, wollte der Kläger den sich bildenden Abstand zwischen Pkw und polnischem Lkw nutzen, um auf die vierte Fahrspur zu wechseln. Dabei kollidierte er mit dem polnischen Lkw. Der Lkw stieß mit seiner rechten vorderen Ecke gegen das linke Hinterrad des Daimler-Chrysler-Pkws. Dadurch erlitt der Kläger Nettoreparaturkosten von 5.873,39 €. Der Kläger ließ sein Fahrzeug notdürftig instand setzen, damit es verkehrstauglich wurde. Der Kläger rechnet fiktiv ab und beansprucht neben den Nettoreparaturkosten noch eine allgemeine Unkostenpauschale von 25,-- €. Das in erster Instanz zuständige Landgericht Duisburg hat mit Urteil vom 12.6.2017 die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus §§ 7 I, 18 I StVG, 823 I, 249 BGB, 115 I 1 Nr. 1 VVG nicht zu. Der Anspruch aus Gefährdungshaftung gemäß der §§ 7 I, 18 I StVO scheitert daran, dass der Kläger den Unfall durch einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß selbst verursacht hat. Da sich der Verkehrsunfall beim Betrieb der Kraftfahrzeuge ereignet hat, richtet sich die Ersatzpflicht nach § 17 I, II StVG. Entscheidend ist, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Kraftfahrzeug verursacht wurde. Diese Ersatzpflicht ist für keinen der Unfallbeteiligten gemäß § 17 III StVG ausgeschlossen. Für beide Fahrer beruht der Unfall nicht auf einem unabwendbaren Ereignis. Für den Umfang der danach untereinander bestehenden Ersatzpflicht ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben. Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH Urt. v. 13.2.1996 – VI ZR 126/95 -; OLG Düsseldorf Urt. v. 23.2.2016 – I-1 U 79/15 -; OLG Hamm Urt. v. 18.11.2003 – 27 U 87/03 -). Auf Seiten des Lkw-hat nach Ansicht des erkennenden Senats zu dem Verkehrsunfall nur die vom Lkw ausgehende Betriebsgefahr beigetragen, die durch die Größe und Masse eines Lastwagens größer ist als die eines Personenkraftfahrzeuges. Zwar weist die Berufung zu Recht darauf hin, dass der Lkw die linke Spur verkehrswidrig befuhr. Nach § 7 StVO dürfen nämlich Lkws mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen außerhalb geschlossener Ortschaften, sofern drei oder mehr Fahrspuren gekennzeichnet sind, den linken Fahrstreifen nur benutzen, wenn sie sich dort zum Zwecke des Linksabbiegens einordnen. Diese Regelung gilt auch auf Autobahnen, obwohl dort ein Abbiegen nach links nicht vorgesehen ist. Denn bei § 7 StVO handelt es sich um eine einheitliche Regelung für alle außerhalb geschlossener Ortschaften liegenden Straßen.

Die Ausnahmeregelung findet auch auf Autobahnen Anwendung, wenn sich die Autobahn teilt und nur über die äußerst linke Spur eine der neuen Fahrspuren erreicht werden kann. Nach § 18 StVO ist bei winterlichen Straßenverhältnissen sogar auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen die Benutzung der äußerst linken Fahrspur für Lkws über 7,5 Tonnen verboten. Zwar lagen winterliche Verhältnisse nicht vor. Gleichwohl handelt es sich bei der Benutzung des linken Fahrstreifens auf der A 40 durch den polnischen Lkw um einen Verkehrsverstoß. Dieser ist aber nach Ansicht des erkennenden Senats bei der Berücksichtigung der Haftungsverteilung unbeachtlich. Im Gegensatz zum Lkw war die vom Pkw des Klägers ausgehende Gefahr durch einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß ganz erheblich erhöht, denn der Kläger hat einen Fahrstreifenwechsel ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs vorgenommen. Gemäß § 7 V 1 StVO darf ein Fahrstreifen auch nach rechtzeitiger Ankündigung nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dafür ist äußerste Sorgfalt erforderlich. Die besonderen Sorgfaltsanforderungen gelten sowohl bei dichtem Verkehr und Kolonnenverkehr wie auch in einem Stau. Gegen diese Anforderung hat der Kläger verstoßen. Auf den zur Gerichtsakte genommenen Lichtbildern ist zu erkennen, dass der Kläger den Spurwechsel noch nicht komplett abgeschlossen hat. Das Heck seines Fahrzeugs befand sich noch auf der ursprünglichen Fahrspur. Kommt es in einem solchen unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Spurwechsel zu einer Kollision, so spricht der Anschein für die Missachtung der Sorgfaltspflichten durch den Spurwechsler. Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttern können. Der Kläger muss daher für die Unfallfolgen alleine einstehen. Denn bei einem Unfall anlässlich eines Spurwechsels ist wegen der hohen Sorgfaltsanforderungen des § 7 V StVO grundsätzlich von einer vollen Haftung des Spurwechslers auszugehen (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 5.7.2016 – I-1 U 95/15 -). Das gilt auch bei einer Kollision mit einem Fahrzeug, dessen Betriebsgefahr angesichts seiner Größe und seines Gewichts erhöht ist, wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat (OLG Düsseldorf Urt. v. 29.9.2009 – I-1 U 157/08 -; OLG Düsseldorf Urt. v. 20.11.2006 – I-1 U 37/06 -). Ein deliktischer Anspruch aus § 823 I BGB scheitert ebenfalls mangels Verschuldens des Lkw-Fahrers.

Fazit und Praxishinweis: Das Urteil begegnet der Kritik. Soweit der erkennende Senat die alleinige Haftung dem klagenden Pkw-Eigentümer auferlegt hat, verkennt er die Situation. Zunächst hat der Senat völlig zu Recht festgestellt, dass sich der polnische Lkw verkehrswidrig auf der äußerst linken Fahrspur der an der Unfallstelle vierspurigen Bundesautobahn A 40 befand. In der unzulässigen Benutzung des äußerst linken Fahrstreifens liegt bereits eine Ordnungswidrigkeit, die mit 80- € belegt ist. Zwar teilt sich die A 40 an dem nächsten Autobahnkreuz, nämlich dem Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg. Die zwei rechten Fahrspuren biegen zur A 3 Richtung Oberhausen/Arnheim/Hannover und in Richtung Düsseldorf/Köln ab. Die äußerst linke und die daneben liegende Fahrspur führen in Richtung Essen/Dortmund weiter. Wenn der Lkw daher in Richtung Essen/Dortmund weiterfahren wollte, so hätte er sich auf der dritten Fahrspur einordnen müssen, da die äußerst linke Fahrspur für Lkws gesperrt ist. Sollte er in Richtung Oberhausen/Hannover weiterfahren wollen, so war er völlig verkehrt eingeordnet.

Die Autobahnverteilung ist rechtzeitig, etwa drei Kilometer vor dem Kreuz Duisburg-Kaiserberg angekündigt. Daher ist die Argumentation des Senats nicht überzeugend. Dem Senat wäre dann zuzustimmen gewesen, wenn sich der Unfall im Autobahnkreuz Düsseldorf-Nord ereignet hätte. Dort biegt tatsächlich nur die linke Fahrspur in Richtung A 44 nach Velbert ab, während die beiden rechten Fahrspuren in Richtung Mönchengladbach/Düsseldorf-Flughafen abbiegen. In diesem Falle hätte sich der Lkw, wenn er in Richtung Velbert geradeaus fahren wollte, verkehrsgerecht auf der linken Fahrspur eingeordnet. In der streitgegenständlichen Verkehrssituation auf der vierspurigen A 40 war dies jedoch verkehrsrechtswidrig. Das muss sich natürlich auch bei der Haftungsverteilung niederschlagen, denn der Pkw-Fahrer musste nicht mit einem verbotswidrig auf der linken Fahrspur fahrenden Lkw rechnen. Die Sorgfaltspflichtverletzung des Pkw-Fahrers ist unstrittig. Das hat der Senat auch zu Recht festgestellt. In Anbetracht der wechselseitigen Verursachungsanteile und der Berücksichtigung der erhöhten Betriebsgefahr des Lkws hätte eine Haftungsverteilung vorgenommen werden müssen, wobei der überwiegende Anteil wohl dem Pkw-Fahrer anzulasten wäre. Dass die Lastkraftfahrzeuge nichts auf der äußerst linken Fahrspur zu suchen haben, zeigt auch der vorangegangene Beitrag in der Unfallzeitung.
Quellen
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