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Strategie: Rheinmetall in Zeiten des Umbruchs
Der Neckarsulmer Autozulieferer ist in hohem Maße abhängig von den Verbrennermotoren | Neuer Strategieansatz: „Jenseits des Antriebsstrangs“

RobGal

„Der Verbrennermotor lebt noch lange“, zeigt sich Horst Binnig, Vorsitzender der Automobilsparte von Rheinmetall, vor Journalisten überzeugt. Doch die Frage ist: Wie lange gibt es Benziner und Diesel noch? Und durch was werden sie ersetzt? Bei den Verantwortlichen des Autozulieferers, der seinen Umsatz überwiegend im Bereich der Verbrenner macht, ist eine gewisse Verunsicherung zu spüren.
Der Grund liegt nicht etwa in Zweifeln an den technologischen Fertigkeiten des Hauses, sondern in dem Umstand, „dass keiner weiß, wohin es geht“.
„Das heißeste Thema ist der Markt“, sagt Binnig. Gemeint ist: Wie werden sich die Autokäufer in der Zukunft entscheiden? Elektro, Hybrid, Brennstoffzelle? Oder steigen sie um? „Wir können ja nicht wissen, was die künftigen Generationen machen“, sagt Binnig im Gespräch mit dem kraft-fahrt-berichter. Doch die Weichen müssen jetzt, in der Zeit des Umbruchs, gestellt werden. Hohe und riskante Investitionsentscheidungen sind zu treffen.

Das Geschäft läuft für Rheinmetall Automotive, eher ein kleiner unter den großen Zulieferern, gut. 2018 konnte man bei einem rückläufigen Markt das operative Ergebnis um fünf Prozent auf über 260 Millionen Euro steigern, die operative Marge lag bei fast neun Prozent. Dennoch wird „jedes Projekt mit langer Kapitalrückflusszeit in Frage gestellt“, stellt Binnig klar. Man brauche das Geld für Investitionen. Der Druck ist hoch.

Die Tendenz in der Automobilwirtschaft zu Kooperationen zeigt sich auch bei Rheinmetall. Doch die Öffentlichkeit erfährt nur, dass die größten Abnehmer Ford, Renault und die VW-Gruppe sind. Und dass man intern enger zusammenrückt. Noch vor wenigen Jahren hatten die Auto-Leute mit ihren Kollegen von der Rüstungssparte Rheinmetall Defence nichts miteinander zu schaffen. Nun werden bereits erste gemeinsame Projekte realisiert, etwa ein crashsicheres Batteriegehäuse, dessen Material für Unterbodenplatten von Panzern zum Schutz vor Minen ersonnen wurde. Oder ein autonomes Minifahrzeug, das Soldaten die Ausrüstung hinterherträgt. Mögliches Stichwort für die automobiltechnische Seite: Authentifizierung von Besitzern oder Nutzern autonomer Autos.

Quietschen und Knarzen

Rheinmetall hat seine Aktivitäten im Bereich Verbrenner bereits deutlich gedrosselt. Das zeigt sich auch in den Produktneuheiten, die das Unternehmen zur Intentionalen Automobilausstellung (IAA) im September präsentieren wird. Es geht mehr denn je um E-Antriebe, Energieeffizienz und Emissionen:
Zu den Herausforderungen, die Elektroautos mit sich bringen, gehört, dass die Insassen in den flüsterleisen Autos jedes Quietschen und Knarzen von Komponenten wie Kompressoren, Aktuatoren oder der Lenkung vernehmen, „weil in den Lagerungen Verschleiß entsteht oder Schmierstoffe altern“, wie Rheinmetall feststellt.

Bei Benzinern und Diesel tauchen die „Störgeräusche“ erst gar nicht auf, da sie vom Motorbrummen übertönt werden. Rheinmetall sieht die Lösung in verbesserter Reibung. Mit einem neuen Gleitlager, dessen Materialstruktur optimiert und um einen reibungsgünstigen Verbundwerkstoff ergänzt wurde, kann der Zulieferer vermelden: weniger Verschleiß und damit geringere Geräuschentwicklung. Das neue Gleitlager kann auch die Belastbarkeit der Stoßdämpfer von E-Autos erhöhen, die allein wegen des schweren Akkus stärker beansprucht werden.

Rheinmetalls neuen Klimakompressor für E-Autos ist vor allem gut für die Reichweite. Deswegen muss das Gerät leicht und effizient sein. Die neue Maschine ermöglicht nicht nur die Kühlung des Fahrzeuginnenraums im Sommer, sondern wirkt auch als Wärmepumpe zum Heizen im Winter. Der für den Kompressor benötigte Strom bleibt auf den Bedarf beschränkt. Zudem wiegt das Gerät nicht einmal sechs Kilogramm, lässt sich mit verschiedenen Kältemitteln verwenden, ist leise und kann über einen Wärmetauscher auch zur Kühlung der Batterie eingesetzt werden, so Rheinmetall.

Von einer „strategischen Komponente“ spricht Rheinmetall bei der elektrischen Ölpumpe. Im Hybridauto hält sie den hydraulischen Druck aufrecht, wenn der Motor etwa beim Segeln oder beim Start-Stopp nicht aktiv ist. Bei Automatikgetrieben wird sie als Zusatzpumpe, bei Schaltgetrieben zur Kühlung oder zum Abpumpen eingesetzt. Zudem setzen die Autobauer mit zunehmender Leistung der E-Motoren vermehrt auf ölgekühlte Elektroaggregate. Rheinmetall bietet eine ganze Produktfamilie elektrischer Ölpumpen für unterschiedliche Anforderungen an, jeweils mit Pumpe, Motor und elektronischer Steuerung. Auch hier wird auf Gewicht und Platzbedarf geachtet, außerdem müssen die Systeme hohe Temperaturen und starke Vibration aushalten.

Weniger Emissionen durch Verbrenner

Zur Verbrauchsreduzierung von Ottomotoren legt Rheinmetall zur IAA eine neue Motorkolbengeneration auf. Überarbeitungen der Schaftsteifigkeit und des Kolbenprofils passen den Schaft besser an die Zylinderlauffläche an. Der Reibverlust soll dadurch um bis zu ein Fünftel gesenkt werden, der Kraftstoffverbrauch um ein Prozent.

„Jenseits des Antriebsstrangs“ nennt Rheinmetall einen strategischen Neuansatz, um sich für die Mobilität der Zukunft aufzustellen, etwa zur ersten oder letzten Meile. Dazu liegen bereits ein elektrischer 48-Volt-Antrieb und Akkupakete für ein neues Premium-Pedelec vor. Außerdem wird an einem Aktuator für das automatische Öffnen von Autotüren gearbeitet. In Verbindung mit Sensoren wäre ein System denkbar, das eine Tür schließt oder geschlossen hält, sobald sich unbemerkt von hinten ein Auto oder Radfahrer nähert. Rheinmetall würde damit einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leiten.
Quellen
    • Foto: Rheinmetall | Text: Kristian Glaser (kb)