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Paradigmenwechsel: Feedbackfahrten für Fahranfänger
Fahrausbildung soll nicht nach Führerscheinerwerb enden | Neue pädagogische Maßnahmen gegen Selbstüberschätzung und für vorausschauendes Fahren

RobGal

Die Risikobereitschaft junger Fahranfänger und ihre Probleme, sich beim Einstieg in die motorisierte Mobilität im rauen Verkehrsgeschehen zurechtzufinden, „ist seit Jahrzehnten Gegenstand internationaler wissenschaftlicher Forschung und bildet in Deutschland regelmäßig einen Schwerpunkt in Verkehrssicherheitsprogrammen“, stellen der Diplompsychologe Jan Genschow vom Institut für Prävention und Verkehrssicherheit in Kremmen (Südbrandenburg) und Dietmar Sturzbecher, Professor für Familien-, Jugend- und Bildungssoziologie der Universität Potsdam, fest. Sie plädieren für nichts weniger als für einen Paradigmenwechsel in der Fahrausbildung.
Seit Jahren tragen die jungen Fahranfänger das größte Unfallrisiko. Im vergangenen Jahr kamen von einer Million Einwohner der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen 58 bei einem Verkehrsunfall ums Leben, nur die Senioren lagen ganz knapp darüber. Bei den Verletzten bewegen sich die jungen Leute mit 959 pro 100.000 Einwohnern sogar über dem Doppelten des Durchschnitts (478). Hier sind sie mit Abstand trauriger Spitzenreiter.

Den Paradigmenwechsel sehen Genschow und Sturzbecher in dem Schritt, die Fahrausbildung nach dem Erwerb des Führerscheins nicht enden zu lassen, sondern zu einem ganzen „System der Fahranfängervorbereitung“ weiterzuentwickeln. Bereits 2012 gründete die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die Projektgruppe „Hochrisikophase Fahranfänger“, der neben Wissenschaftlern auch Vertreter von Fahrlehrerverbänden, Prüforganisationen und Vereinen angehörten. Die Projektgruppe entwickelte auf Basis bisheriger Erfahrungen und Konzepte ein „edukatives Modell“, das auf zwei Säulen basiert: den „Feedbackfahrten“ und einem damit eng verbundenen Theorie-Praxis-Seminar.

Bei den Feedbackfahrten, erläutern Genschow und Sturzbecher, begleitet ein geschulter Kursleiter den Führerscheinneuling bei zwei Fahrten im normalen Straßenverkehr, jeweils für 90 Minuten. Dabei soll sich der Kursleiter nicht nur einen Eindruck von der Fahrkompetenz des Anfängers verschaffen, sondern durch nachträgliche Erörterung von Verkehrssituationen auch die Verkehrswahrnehmung und die Fähigkeit zum vorausschauenden und risikovermeidenden Fahren einschätzen. Zwischen den zwei Fahrten ist eine mehrwöchige Phase „selbstständigen fahrpraktischen Lernens“ vorgesehen. Das alles kann bis zu zwei Monate dauern und soll beginnen, wenn der Fahranfänger bereits erste Erfahrungen sammeln konnte, aber noch keine „sicherheitsabträgliche Handlungsroutinen“ entwickelt hat, also etwa vier Monate nach dem Führerscheinerwerb.

Teil zwei des edukativen Modells ist ein ganzes Bündel an theoretischen und praktischen Übungen, zusammengefasst unter der Bezeichnung „Erfahren, Aufmerksam, Sicher?“ (EASi?). In einem eintägigen Kurs lernen die Teilnehmer mit einem „experimentellen Ansatz“ unvorhersehbare fahrphysikalische Grenzen kennen. Die werden in moderierten Gruppengesprächen miteinander ausgewertet und zusammen mit den bisherigen Erfahrungen im Straßenverkehr aufgearbeitet. Dabei besteht für die Fahranfänger auch die Gelegenheit, in einem sanktionsfreien Rahmen bereits erlebte schwierige Verkehrssituationen anzusprechen und Fragen zu stellen. Damit der Lernstoff nicht überfrachtet wird, sollen die Themen auf Fahrzeugsicherheitssysteme, Ablenkung und Selbstüberschätzung konzentriert werden.

„Aktive Rolle als Lernender“
Genschow und Sturzbecher stellen heraus, dass das edukative Modell „dem Fahranfänger eine aktive Rolle als Lernender zuweisen“ und „seine Selbstreflexion und Eigenverantwortung fördern“ soll. Darin besteht inhaltlich der Paradigmenwechsel zur bisherigen Fahrschulpraxis. Auch „deliktauffällige Fahranfänger“ sollen davon profitieren. Jedoch würde man ihnen bereits auferlegte Sanktionen, etwa der Besuch eines Aufbaukurses, nicht erlassen, damit diese ihre Wirkung entfalten können. Als Fachpersonal für die Kurse kämen nicht nur Fahrlehrer in Frage, sondern auch Verkehrspsychologen und -pädagogen.

Die Empfehlungen der Expertengruppe basieren auf der Erkenntnis, „dass eine weitere Absenkung von Risiken für Fahranfänger nicht allein durch die traditionellen Bereiche der Fahrschulausbildung und Fahrerlaubnisprüfung geleistet werden kann“. Das neue Konzept beinhaltet zudem eine Verlängerung der Probezeit um zwölf Monate auf dann drei Jahre, die sich verkürzen lassen, wenn der Fahranfänger am begleiteten Fahren oder den Feedbackfahrten teilnimmt. „Die Probezeitverkürzung“, so die Autoren, bilde einen „wichtigen Anreiz für die optimale Teilnahme an Fahranfängermaßnahmen“.

Wieweit „Feedbackfahrten“ und „EASi“ geeignet sind, das Fahranfängerrisiko zu verkleinern, würde sich nach Ansicht von Jan Genschow und Dietmar Sturzbecher „nur nach einer modellhaften Erprobung und Evaluation feststellen“ lassen.
Quellen
    • Foto: © Gerhard Seybert - Fotolia.com | Text: Beate M. Glaser (kb)