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Mobil im Alter: Lücke im Angebot für hochbetagte Autofahrer
Für Senioren wird Mobilität immer wichtiger | Betroffene wünschen sich spezielle Fahrsicherheitstrainings

RobGal

Die Menschen werden immer älter, es ist keine Seltenheit mehr, dass auch sogenannte Hochbetagte, gemeint sind Senioren mit 80 Jahren und älter, ein Auto besitzen und es regelmäßig nutzen. In einer wissenschaftlichen Doppeluntersuchung der Generali-Versicherung aus den Jahren 2013 und 2017 wurde gezeigt, dass sich in den letzten dreißig Jahren der Anteil der Autofahrer zwischen 80 und 85 verzehnfacht hat.
Rund sechs Millionen Menschen in Deutschland sind mindestens 80 Jahre alt, dennoch gibt es so gut wie keine Untersuchung zu hochbetagten Autofahrerinnen und Autofahrer. Auch die besagten Generali-Studien befassen sich nur ganz allgemein mit der Frage, wie alte Menschen in Deutschland denken und leben. Also weiß die Gesellschaft gar nicht genau, wie Menschen jenseits der 80 den Straßenverkehr wahrnehmen und mit welchen Problemen sie konfrontiert sind.

Doch wir wissen offenkundig nicht nur zu wenig, sondern denken und handeln auch falsch: In einer „Hundertjährigen Studie“ der Universität Heidelberg wurde bereits 2013 kritisiert, dass es im öffentlichen Diskurs häufig „negative, von Stereotypen dominierte Altersbilder“ gibt. Das führe zu einer „Fehleinschätzung der Bedarfe dieser Altersgruppe“. Diesem Missstand abzuhelfen, sind Stefan Arend und Imke Finze angetreten. Sie ermittelten in einer empirischen Untersuchung erstmals, wie hochbetagte Autofahrer den Straßenverkehr sehen. Dazu führten sie für das Kuratorium Wohnen im Alter (KWA), einen gemeinnützigen Wohn-, Pflege- und Dienstleistungsanbieter, eine Umfrage unter KWA-Bewohnern durch. Das Ergebnis: Die Hochbetagten fahren überraschend viel Auto.

171 Frauen und Männer beteiligten sich an dem Projekt, das waren 14 Prozent aller hochbetagten KWA-Bewohner. Der durchschnittliche Umfrageteilnehmer war 83 Jahre alt und verfügte über 60 Jahre Verkehrserfahrung. Zwölf Prozent setzen sich nach eigenen Angaben täglich hinters Steuer, 63 Prozent sind mehrfach in der Woche auf vier Rädern unterwegs. Ihre Fahrzeuge hatten im Schnitt 9,3 Jahre auf dem Buckel.

Mobilität mit dem eigenen Auto sei besonders für diese Altersgruppe ein Stück Lebensqualität, darin sehen Stefan Arend und Imke Finze ein zentrales Ergebnis ihrer Studienarbeit. 83 Prozent der befragten Senioren sehen in der Nutzung ihres Kraftfahrzeuges „ein Zeichen von Selbständigkeit und Autonomie“. Daher sollten alterdiskriminierende Vorstellungen und Vorurteile „den Tatsachen einer alternden Gesellschaft“ weichen, meinen die Autoren. Die demografische Entwicklung mache „Antworten und Lösungsvorschläge in Sachen Mobilität zwingend erforderlich“. Die großen Herausforderungen, vor denen viele Hochbetagte stünden, sollten von der Gesellschaft angenommen werden, fordern Stefan Arend und Imke Finze, statt über Altersbegrenzungen und Fahreignungsprüfungen zu diskutieren.

„Bis ins hohe Alter sicher mobil sein können“
2018 verunglückten im Straßenverkehr 53.000 Menschen, die älter als 65 waren. Das bedeutete eine hohe Steigerung um 7,4 Prozent zum Jahr davor. 1.045 kamen ums Leben – rund ein Viertel der Unfalltoten insgesamt, wie der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) hervorhebt. „Uns ist es wichtig, dass Menschen bis ins hohe Alter sicher mobil sein können“, sagt DVR-Hauptgeschäftsführer Christian Kellner.

Diese Auffassung teilen die Autoren der KWA-Studie, weshalb sie die Hochbetagten auch nach den Herausforderungen im Straßenverkehr befragten. Arend und Finze betonen, dass die Senioren „ganz konkrete Verkehrssituationen, die belastend für sie sind“, benennen können und auch ihre mentalen und psychischen Einschränkungen kennen. So gehören Parkplatzsuche und Einparken ebenso zu den schwierigen Situationen wie Stau, Hektik und Rücksichtslosigkeit. Die Alten wissen, dass sie bei langen Fahrten und blendendem Licht schnell an ihre Grenzen kommen, wozu auch Situationen gehören, die eine schnelle Reaktion erfordern. Immerhin nähmen 40 Prozent der Umfrageteilnehmer an einem speziell auf sie zugeschnittenen Fahrsicherheitstraining teil, genauso viele machten „vielleicht“ mit.

Vor diesem Hintergrund wundern sich Stefan Arend und Imke Finze, dass es, von „ganz wenigen Einzelinitiativen“ abgesehen, derzeit keine Angebote für Auto fahrende Senioren gibt. Dafür muss wohl noch das öffentliche Bild über die Lebensgestaltung im hohen Alter, das oft von Passivität und Zurückgezogenheit geprägt ist, zurechtgerückt werden. Denn auch für alte Menschen stellt Mobilität eine Selbstverständlichkeit dar, anders sind ein eigenständiger Alltag und eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kaum möglich. Daher regen Arend und Finze die Entwicklung und den Einsatz moderner Assistenzsysteme an. Zudem sprechen sie sich für spezielle Fahrsicherheitstrainings aus sowie für begleitetes Fahren und weitere Programme, die mit „gerontologischem Wissen untermauert“ sind.
Quellen
    • Foto: © DOC RABE Media - Fotolia.com | Text: Beate M. Glaser (kb)