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OLG Schleswig zu einem Unfall bei Fahrschulfahrt mit Motorrad
OLG Schleswig Urteil vom 11.3.2016 – 17 U 112/14 –

RFWW

Der Kläger wollte die Fahrerlaubnis der Klasse A für Motorräder erwerben. Er meldete sich daher bei der Fahrschule des beklagten Fahrlehrers an. Bei einer der ersten Fahrstunden auf einer Maschine mit 25 kW Leistung hatte der Fahrschüler beim Anfahren zu viel Gas gegeben und die Kupplung zu schnell kommen gelassen, woraufhin die Fahrstunde abgebrochen wurde. Am 1.6.2010 fand der Fahrunterricht mit einem Motorrad mit 53 kW statt.
Nach problemlosen Anfahr- und Bremsübungen erlitt der Kläger auf einer Überlandfahrt Verletzungen, als es zu einem vergleichbaren Fahrfehler wie zuvor kam. Er verlor beim Anfahren vor einem Kreisverkehr die Kontrolle über das Motorrad, welches die Mittelinsel überfuhr und mit einem anderen Fahrzeug kollidierte. Der Fahrschüler nahm daraufhin den Fahrlehrer auf Schmerzensgeld in Anspruch. Das Landgericht verneinte eine Haftung des Fahrlehrers. Das Berufungsgericht sah das anders. Es hat eine Beweisaufnahme durchgeführt.

Anders als es das Landgericht angenommen hat, haftet der Beklagte gemäß den §§ 280, 611, 253 BGB auf Schmerzensgeld und Schadensersatz, da er, wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats feststeht, schuldhaft Obhuts- und Schutzpflichten des Ausbildungsvertrags verletzt hat und diese Pflichtwidrigkeit ursächlich für den Unfall des Klägers am 1. Juni 2010 geworden ist. Daher hat der Beklagte Schmerzensgeld und Schadensersatz zu leisten. Der Beklagte hätte nach dem ersten Vorfall bereits erkennen müssen, dass der Kläger mit dem Motorradunterricht überfordert ist. Nach dem Ausbildungsvertrag, der seiner Rechtsnatur nach ein Dienstvertrag gemäß § 611 BGB ist, schuldet der Fahrlehrer keinen Erfolg, aber eine gute Ausbildung (vgl. OLG Koblenz NZV 1992,151).

Die Rechtsprechung hat weitgehende Schutzpflichten zugunsten des Fahrschülers festgeschrieben: Der Fahrlehrer muss darauf achten, dass keine Überforderung des Schülers vorliegt (OLG Hamm, NJW-RR 2004, 1095). Der Fahrlehrer darf einen Motorradfahrschüler erst nach ausreichender Vorbereitung auf Fahrsituationen, wie sie sich dem Motorradfahrer auf öffentlichen Straßen stellen, am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen lassen. Er darf dem Fahrschüler keine Aufgaben stellen, die dieser nicht oder noch nicht meistern kann, weil sie seinem Ausbildungsstand und seinen Fähigkeiten nicht oder noch nicht entsprechen (OLG Rostock, DAR 2005, 32 f.). An die Einhaltung der Pflichten des Fahrlehrers zum Schutze der Fahrschüler ist nach der Rechtsprechung des BGH ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGH NJW 1969, 2197). Der Fahrlehrer hat darauf zu achten, dass der Fahrschüler das Motorrad ausreichend beherrscht.

Kriterium für das Maß der Überwachungspflichten ist der jeweilige Ausbildungsstand. Nach diesen Grundsätzen war festzustellen, dass der Beklagte dem Kläger mit der im Streit stehenden Überlandfahrt, die in eine Autobahnfahrt einmünden sollte, eine Aufgabe gestellt hat, die der Kläger erkennbar noch nicht erfüllen konnte und die diesen überfordert hat. Bereits nach laienhafter Bewertung liegt es nach Ansicht des erkennenden Senats nahe, aber so hat es auch der vom Gericht gehörte Sachverständige eingeschätzt, dass das tatsächliche zum Unfall führende Geschehen, nämlich zu viel Gas zu geben bei gleichzeitig zu schnellem Kommen-Lassen der Kupplung, mithin das Bewirken einer ungehinderten Kraftentfaltung, die der Fahrschüler nicht mehr beherrschen konnte, auf mangelnde Übungen im geschützten Verkehrsraum zurückzuführen sind. Da der Schüler im öffentlichen Straßenverkehr neben der Beherrschung der Maschine auch weitere Stressfaktoren wie die Beobachtung des Verkehrs bewältigen muss, liegt es besonders nahe, dass der Unfall in seiner tatsächlichen Erscheinungsform auf eine ungenügende Vorbereitung auf die konkrete Situation zurückzuführen ist. Dies gilt umso mehr, als der Kläger unstreitig bereits zuvor vergleichbare Schwierigkeiten mit der Beherrschung des Motorrades hatte.

Ein haftungsrelevantes Mitverschulden des Klägers ist nicht zu erkennen. Zwar hat er grundsätzlich einen Fahrfehler begangen, dies ist jedoch gerade zu typisch für Fahrschüler in der konkreten Ausbildungssituation. Sein Fehlverhalten, auch insoweit folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen, ging nicht über das Maß an Ungeschicklichkeit hinaus, das jedem Fahrschüler in der konkreten Situation und dem Kläger nach seinem Ausbildungsstand zuzubilligen war und damit erwartet werden musste.

Fazit und Praxishinweis: Bei dieser Einzelfallentscheidung des OLG Schleswig war der Fahrschüler mit dem Motorrad eindeutig überfordert. Der beklagte Fahrlehrer hätte bei sorgfältiger Überwachung des Fahrschülers erkennen müssen, dass der Fahrschüler noch nicht in der Lage war, ein Motorrad sicher im Straßenverkehr zu führen. Diese Pflichtverletzung ergibt sich aus dem abgeschlossenen Ausbildungsvertrag.
Quellen
    • Foto: tomas - Fotolia.com