Anscheinsbeweis bei Unfall des Auffahrenden bei grüner AmpelLG Saarbrücken Berufungsurteil vom 20.11.2015 – 13 S 67/15 –
Die zulässige Berufung der beklagten Unfallgegnerin ist unbegründet. Die Berufung der Klägerin ist dagegen begründet. Im Rahmen der gemäß § 17 I, IIStVG gebotenen Haftungsabwägung ist der erstinstanzliche Richter zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die auffahrende Unfallgegnerin gegen § 4 I 2 StVO verstoßen hat. Danach darf nämlich der Vorausfahrende nicht ohne zwingenden Grund abbremsen. Das Abbremsen der Unfallgegnerin ist unstreitig. Diese konnte auch keinen nachvollziehbaren vernünftigen Grund zum Abbremsen vortragen. Dass sie angegeben hat, wegen eines eventuell kreuzenden Radfahrers auf dem Radweg gebremst zu haben, kann sie nicht entlasten. Rad- und Fahrweg sind voneinander getrennt. Aber auch die Klägerin trifft ein Mitverschulden.
Der gegen sie sprechende Anscheinsbeweis des Auffahrens ist durch den Verstoß der Gegnerin nach § 4 I 2 StVO erschüttert (vgl. OLG Köln MDR 1995, 577; OLG Frankfurt VersR 2006, 668). Die Klägerin hat aber nachweislich gegen die Pflichten aus den §§ 1, 3, 4StVO verstoßen. Zwar ist beim Anfahren bei Grün die Pflicht zur Einhaltung des Mindestabstands gemäß § 4 I 1 StVO außer Kraft gesetzt. Dies geht aber einher mit der Pflicht zur besonderen Aufmerksamkeit und erhöhter Bremsbereitschaft (vgl. KG NZV 2013, 80). Dass die Klägerin hiergegen verstoßen hat, wurde bereits in erster Instanz festgestellt. Hiergegen wendet sich auch nicht die Berufung.
Die Berufung wendet sich aber zu Recht gegen die durch das Amtsgericht getroffene Haftungsverteilung. Zwar trifft den Auffahrenden regelmäßig die überwiegende Haftung. Das gilt allerdings nicht, wenn dem Vorausfahrenden eiin Verstoß gegen § 4 StVO zur Last fällt. In diesem Fall kommt eine Haftung des Vorausfahrenden in Betracht, die umso größer ist, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein starkes Abbremsen ist ( vgl. KG MDR 2006, 1404; OLG Hamm SP 2014, 186). Nach diesen Grundsätzen hält die Berufungskammer eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagtenfür angezeigt. Denn die Unfallgegnerin hat mit ihrem überraschenden und verkehrswidrigen Abbremsen die maßgebliche Ursache für den Unfall gesetzt. Gegenüber dem Verhalten der Unfallgegnerin fällt das Mitverschulden der Klägerin vergleichsweise gering aus (vgl. OLG Düsseldorf DAR 1975, 303; KG NZV 2004, 506; OLG Frankfurt VersR 2006, 668; LG München DAR 2005, 690)
Fazit und Praxishinweis:
Der durch Grün bevorrechtigte Fahrzeugführer ist gehalten, die Grünphase einer Lichtzeichenanlage auszunutzen, um einen ungehinderten Verkehrsfluss zu gewährleisten. Bremst er während des Anfahrens grundlosund ohne zwingenden Grund vor dem Kreuzungsbereich stark ab und fährt das nachfolgende Fahrzeug dann auf, so ist der Anscheinsbeweis, dass der Auffahrende grundsätzlich Schuld ist, erschüttert. Gerade beim Anfahren vor umschaltenden Lichtzeichenanlagen ist gesteigerte Sorgfalt walten zu lassen.