Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

Bei Ersatz durch Unfall beschädigter Kindersitze kein Ausgleich Neu für Alt
AG Ansbach Urteil vom 19.10.2016 – 5 C 721/16 –

Rechtsassessor Friedrich-Wilhelm Wortmann

Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall, bei dem auch die auf der Rückbank befindlichen Kindersitze mit Basisstation beschädigt wurden, hat der Geschädigte einen Anspruch auf Neuteilersatz ohne Abzug Neu für Alt. Gerade bei sicherheitsrelevanten Teilen, wie Sicherheitsgurten, Airbags, Helmen oder auch Kindersitzen, ist eine Verweisung auf Gebrauchtteile unzumutbar. Der Geschädigte hat daher in derartigen Fällen grundsätzlich Anspruch auf Neuteilersatz ohne Abzug.
Der spätere Kläger erlitt am 4.1.2016 auf der bayerischen Staatsstraße 2223 in Höhe der Anschlussstelle Lichtenau einen Verkehrsunfall. Die einhundertprozentige Haftung der Kfz-Versicherung des auffahrenden Kraftfahrers ist unbestritten. Mit dem Fahrzeugschaden macht der Kläger auch Schadensersatz für die beiden auf der Rückbank befindlichen Kindersitze mit Basisstation der Marke „Pebble“ geltend. Er fordert die Neuanschaffungspreise, da ein Kindersitz aus dem Jahr 2012 und der andere der Marke „Pearl“ aus dem Jahr 2014 stammt. Die beklagte Kfz-Versicherung nahm Abzüge Neu für Alt vor. Der Abzugsbetrag ist Gegenstand des Rechtsstreites vor dem Amtsgericht Ansbach. Die Klage hatte vollen Erfolg.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 134,97 € aus §§ 7, 17, 18 StVG, 1 PflVG, 115 I S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB. Die Haftung der beklagten Kfz-Versicherung ist unstreitig. Diese haftet zu einhundert Prozent.

Im Rahmen der Haftungsausfüllung kann der Kläger von der Beklagten gem. §§ 249 ff BGB die Kosten für die Neuanschaffung zweier bei dem Unfall beschädigter Kindersitze und einer bei dem Unfall ebenfalls beschädigten Kindersitz-Basisstation in voller Höhe verlangen. Bei dem streitgegenständlichen Unfall wurden unstreitig ein im Jahr 2012 angeschaffter Kindersitz „Pebble“ sowie die zugehörige Basisstation beschädigt und ein im Jahre 2014 angeschaffter Kindersitz „Pearl“ beschädigt Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für diese beschädigten Gegenstände ein Abzug „neu für alt“ nicht vorzunehmen. Es sind daher die vollen Kosten für die Neuanschaffung ersatzfähig. Hintergrund des gesetzlich nicht geregelten Abzuges Neu für Alt bei beschädigten gebrauchten Sachen ist, dass der Geschädigte im Rahmen der §§ 249 ff BGB wirtschaftlich so gestellt werden soll, als sei das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten. Die Vornahme eines Abzuges „neu für alt“ setzt daher voraus, dass eine wirtschaftlich günstige Vermögensmehrung gerade für den Geschädigten eintritt und dass der Abzug „neu für alt“ für den Geschädigten zumutbar ist (vgl. Grüneberg, in: Palandt, 75. Auflage 2016, vor § 249 RdNr. 98 ff.).

Für den Kläger ist es zunächst unzumutbar, den vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustand durch die Anschaffung gebrauchter Kindersitze wiederherzustellen. Es kann von dem Kläger nicht verlangt werden, für seine engsten Familienangehörigen in einem derart sensiblen Bereich wie dem Schutz vor mitunter schwerwiegenden Verletzungen aufgrund der Gefahren des Straßenverkehrs auf einen Kindersitz zurückzugreifen, dessen Vorgeschichte der Kläger nicht kennt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade bei Kindersitzen eine der Sicherheit der Sitze abträgliche Beschädigung des Materials von außen gerade nicht zwingend erkennbar sein muss. Bei einem gebrauchten Kindersitz, egal ob von einer Privatperson oder möglicherweise von einem Händler erworben, kann der Kläger nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass der Gegenstand etwa aufgrund eines Sturzes bereits vorgeschädigt ist und damit die Sicherheit seiner Kinder nicht gewährleistet ist.

Dadurch, dass im vorliegenden Fall an die Stelle der beschädigten gebrauchten Kindersitze neuwertige Kindersitze treten, kommt eine Vermögensmehrung für den Kläger nicht zustande. Maßgeblich ist insoweit im Rahmen des Abzuges „neu für alt“, ob die neu anzuschaffende Sache aufgrund ihres individuellen Nutzungspotenzials gerade für den Geschädigten einen höheren Wert hat (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 01.08.2014 - 11 U 23/14 -). Durch den Ersatz des im Jahr 2012 angeschafften, bei dem streitgegenständlichen Unfall beschädigten, Kindersitz durch einen neuen Kindersitz erhöht sich im vorliegenden Fall das individuelle Nutzungspotential des Gegenstandes für den Geschädigten nicht. Der Kläger hat zwei Kinder. Beide müssen von Gesetzeswegen noch auf platziert werden, wenn sie mit dem Kraftfahrzeug des Klägers mitgenommen werden sollen. Für beide Kindersitze mit Basisstation gilt daher, dass ein Abzug nicht gerechtfertigt ist. Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben.

Fazit und Praxishinweis: Dieses Urteil verdeutlicht einmal mehr, wie unmenschlich die Schadensregulierung der Kraftfahrzeugversicherer geworden ist. Da soll dann der Geschädigte bei lebensnotwendigen Kindersitzen auf Gebrauchtteile verwiesen werden. Das ist für die Geschädigten und deren Kinder unzumutbar und durch die Rechtslage aus Rechtsprechung und Literatur nicht gerechtfertigt. Bei sicherheitsrelevanten Systemen, wie Sicherheitsgurten, Airbags, Helmen oder Kindersitzen besteht nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall grundsätzlich Anspruch auf Neuteilersatz ohne Abzug Neu für Alt.
Quellen
    • Foto: © Martina Berg - Fotolia.com