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Die spätere Klägerin und ihr Ehemann befuhren mit ihren Fahrrädern einen landwirtschaftlichen Weg in der Gemeinde E. in Baden-Württemberg. Vor ihnen ging der spätere Beklagte mit seinem Hund. Der Beklagte ging auf der rechten Seite des Weges.
Der Hund befand sich auf der linken Seite. Der Hund zog eine Leine hinter sich her, ohne dass der Beklagte die Leine hielt. Die Polizeiverordnung der Gemeinde E. schreibt in § 13 vor, dass auf diesem Weg der Hund hätte angeleint sein müssen. Nach einem Klingeln der Klägerin pfiff der Beklagte dem Hund, der zunächst nicht reagierte.

Plötzlich lief der Hund von der linken auf die rechte Seite des Weges, so dass die Klägerin stark bremste und stürzte. Sie verlangt von dem Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Beklagte wendet ein, dass die Klägerin ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls trägt. Aufgrund der Klage der Klägerin vor dem örtlich zuständigen Landgericht Tübingen erliess die 5. Zivilkammer zunächst ein Grundurteil zum Grunde der Haftung und zu einem möglichen Mitverschulden.

Der Beklagte haftet für den Unfallschaden. Der Klägerin kann kein Vorwurf des Mitverschuldens gemacht werden. Ein Mitverschulden musste sich die Klägerin nicht anrechnen lassen Dennunabhängig von einer Tiergefahr ist eine erhöhte Fahrlässigkeit des Beklagten dadurch gegeben, dass er entgegen der örtlichen Polizeiverordnung den Hund, auf den er durch Zuruf nicht einwirken konnte, mit einer sogenannten Schleppleine, die der Hund hinter sich her zog,auf der gegen-überliegenden Seite des Weges laufen ließ, während sich die Klägerin ordnungsgemäß verhalten hat. Sie ist insbesondere nicht verpflichtet gewesen, beim Annähern an den Hund vom Fahrrad abzusteigen und dieses zu schieben. Der Sturz der Klägerin und ihre Begegnung mit dem freilaufenden Hund des Beklagten standen in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Unter diesen Umständen spricht bereits ein Anscheinsbeweisfür die Verursachung des Sturzes durch den Hund, weil dieser nicht mit einer Leine mit dem Beklagten verbunden war, sondern vielmehr die Leine hinter sich herzog, obwohl gemäß § 13 der Polizeiverordnung der Gemeinde E auf diesem Weg der Hund angeleint hätte sein müssen.

Das bedeutet eine Gefahrerhöhung, für die der Beklagte verantwortlich ist.Die Voraussetzungen nach der Polizeiverordnung, unter denen der Hund hätte frei laufen dürfen, waren nicht gegeben. Der Hund war gerade nicht so ausgebildet, dass er jederzeit durch Zuruf zu einem Verhalten veranlasst werden konnte, das die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeidet. Der Hund hat auf den Pfiff zunächst überhaupt nicht reagiert, danach hat er in einer für das Tier typischer Weise unberechenbaren und nicht dem Denken eines Verkehrsteilnehmers entsprechenden Art und Weise reagiert und damit auch zugleich die typische Tiergefahr verwirklicht. Die Polizeiverordnung stellt ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB dar.Der Beweis des ersten Anscheinsist auch nicht durch die Einlassung des Beklagten erschüttert worden. Der Beklagte haftet danach gemäß § 833 BGB für die Folgen des von seinem Hund verursachten Unfalls, denn die typische Tiergefahr konkretisiert sich hier. (Vgl. insoweit insgesamt OLG Hamm Urteil vom 21. Juli 2008 – 6 U 60/08 -). Soweit das OLGFrankfurt mit seinem Urteil vom 4.6.2002 – 8 U 23/02 - eine andere Betrachtung vornimmt, kann dieser nicht gefolgt werden. Das Oberlandesgericht Frankfurt legt dabei eine Handlungsweise des Hundes zu Grunde, die eher einem menschlichen Verkehrsteilnehmer entspricht. So wird dort ausgeführt, dass im dortigen Fall das Tier, wie auch hier, für die Geschädigten über einen längeren Zeitraum gut sichtbar gewesen ist und das Verhalten des Tieres für den Kläger vorhersehbar gewesen ist.

Der vorliegende und hier zu entscheidende Fall zeigt geradezu beispielhaft, dass das Tier sich eben nicht wie ein menschlicher Verkehrsteilnehmer verhält, sondern urplötzlich und unkalkulierbar sowie unvorhersehbar in die eine oder andere Richtung, aus welchen Gründen auch immer, von seiner bis dahin gewählten Streckenführung abrupt abweichen kann. Dies stellt gerade das tierische Verhalten dar. Dessen unberechenbares Risiko wollte der Gesetzgeber nicht Dritten, sondern dem Tierhalter mit der Tierhalterhaftung zuweisen. Der Beklagte hat zudemauch fahrlässig im Sinne von § 823 I BGB gehandelt. Die Fahrlässigkeit bestand zum einen darin, den nicht ausreichend folg-samen Hund auf dem auch von Radfahrern frequentierten Weg frei laufenzulassen, zumal entgegen der Polizeiverordnung; die Fahrlässigkeit wird noch dadurch erhöht, dass der Hund die Leine hinter sich herziehen durfte, was im Zusammen-treffen mit Radfahrern die Gefahrensituationfür die Radfahrer noch weiter erhöhen kann, wenn beispielsweise die Leine sich mit dem Fahrrad verhakt oder beim Queren des Weges durch den Hund den Weg vollständig sperrt.

Die hinter dem Hund hergeschleppte Leine macht zudem insoweit ein Ausweichen oder Passieren für den Radfahrer nochmals deutlich schwerer. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit erhöht sich noch dadurch, dass der freilaufende Hund nicht auf der Straßenseite lief, die der Beklagte benutzte, sondern die gegenüberliegende Straßenseite benutzte, so dass er zwangsläufig bei jedem Zuruf, auch wenn er diesen ordnungsgemäß gefolgt hätte, den restlichen Straßenbereichzwischen der linken und der rechten Straßenseite hätte überqueren müssen. Die klagende Radfahrerinmuss sich auch kein Mitverschulden gemäß § 254 II BGB entgegenhalten lassen. Der Klägerin hätte allein vorgeworfen werden können, ihr Fahrrad bei Annäherung an den die Leinehinter sich herziehenden Hund ihr Fahrrad nicht komplett zum Stillstand gebracht zu haben, abgestiegen zu sein und das Fahrrad dann vorsichtig am Hund entlang geschoben zu haben. Eine derartige Verhaltensweise widerspricht jedoch der Teilnahme am Verkehr auf einem asphaltierten landwirtschaftlichen Verbindungsweg. Es ist weder eineVorschrift der Straßenverkehrsordnung noch eine Sorgfaltspflicht erkennbar oder begründbar, die von einem Radfahrer mehr verlangen würde,seine Geschwindigkeit zu reduzieren und langsam zu passieren. Dies hat die Klägerin unbestritten getan. Im Übrigen ist das Gericht auch aufgrund des Alters der Klägerin davon überzeugt, dass es sich bei ihr nicht um eine rasende Radfahrerin gehandelt hat.

Fazit und Praxishinweis: In dem Verhalten des Hundes konkretisiert sich die typische Tiergefahr. Wenn nach der Ortssatzung Hunde anzuleinen sind, muss diese Vorschrift auch beachtet werden. Im Falle der Nichtbeachtung ist dies ein Zeichen für den dem Tierhalter bzw. Tieraufseher zu machenden Vorwurf der Fahrlässigkeit, nämlich das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Hunde sind daher, weil sie grundsätzlich unberechenbar sind, angeleint zu führen.
Quellen
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