OLG Hamm urteilt zu den Mietwagenkosten und zur 130 Prozent-Abrechnung nach unverschuldetem Verkehrsunfall
-
RobGal -
13. März 2018 um 13:37 -
0 Kommentare -
31.038 Mal gelesen
Immer wieder beruft sich die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung auf die angebliche Schadensminderungspflicht des Geschädigten. So war es auch in dem Fall, der dem Oberlandesgericht Hamm in der Berufungsinstanz zur Entscheidung vorlag. Zuvor hatte das Landgericht Bielefeld dem Geschädigten die Mietwagenkosten in Höhe von 1.230,-- € verweigert und diesem lediglich die Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 115,-- € zugesprochen.
Der seinerzeit 76 Jahre alte Kläger aus Bielefeld erlitt am 9.2.2016 auf dem Ostwestfalendamm in Bielefeld einen Verkehrsunfall, für den allein die beklagte Fahrerin aus Bielefeld verantwortlich ist, deren Fahrzeug bei der ebenfalls beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versichert ist. Beschädigt wurde der Toyota Yaris des Geschädigten. Wegen der ihm entstandenen Schäden nimmt der geschädigte Fahrzeugeigentümer die beklagte Fahrerin und deren Kfz-Haftpflichtversicherung in Anspruch. Am 22.2.2016 mietete er einen Toyota Aygo als Ersatzfahrzeug an. Mit der Reparatur seines beschädigten Pkw Toyota Yaris beauftragte der in Bielefeld wohnhafte Geschädigte eine qualifizierte Kfz-Werkstatt in Lemgo. Der von dort aus mit der Schadensbegutachtung beauftragte Kfz-Sachverständige ermittelte Reparaturkosten in Höhe von ca. 4.300,-- €, einen Wiederbeschaffungswert von 3.900,-- € und eine voraussichtliche Reparaturdauer von 4 bis 5 Arbeitstagen. Der Geschädigte beauftragte die Kfz-Werkstatt mit der Instandsetzung des verunfallten Fahrzeugs. Nach Abschluss der Reparaturarbeiten hatte der Geschädigte den Mietwagen für 11 Tage in Anspruch genommen. In diesen 11 Tagen legte er mit dem Mietfahrzeug 239 km zurück. Das macht pro Tag 21,72 km aus. Die ei9ntrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung lehnte eine Regulierung der Mietwagenkosten wegen der geringen Fahrleistung ab. Auf die Klage des Geschädigten auf Zahlung der berechneten Mietwagenkosten wies das erstinstanzlich zuständi9ge Landgericht Bielefeld die Klage auf Zahlung der Mietwagenkosten ab. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg.
Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht Bielefeld hat nach Ansicht des erkennenden Senats das Anmieten eines Ersatzfahrzeugs bei der geringen Fahrleistung des Klägers nicht für erforderlich erachtet. Der Kläger hat nach dem eingeholten Schadensgutachten nur mit einer Wiederherstellungsdauer von 4 bis 5 Tagen zu rechnen gehabt. Für diese wenigen tage ist es ihm zumutbar gewesen, für5 anstehende Fahrten ein Taxi zu benutzen. Das verunfallte Fahrzeug ist auch nicht zu beruflichen Zwecken benutzt worden. Der geschädigte ist immerhin 76 Jahre alt gewesen, als es zu dem Unfall kam. Das Anmieten des Ersatzfahrzeugs durch den Kläger war nicht erforderlich. Dementsprechend kann der Kläger auch nicht Erstattung der angefallenen Mietwagenkosten verlangen. Der beschädigte Toyota-Pkw des Klägers war nach dem Unfall noch fahrbereit gewesen. Dem Kläger hat daher nur für die tatsächliche Dauer der Reparatur das beschädigte Fahrzeug nicht zur Verfügung gestanden. Nach den Feststellungen des Schadensgutachters hätte die Reparatur in 5 Tagen durchgeführt werden können. Dass die Reparatur dann tatsächlich länger gedauert hat, kann der erkennende Senat allerdings nicht feststellen, weil der genaue Beginn der Reparaturarbeiten nicht mehr zu ermitteln ist. Unter dem Gesichtspunkt eines von dem Schädiger zu tragenden Prognoserisikos kann der Kläger nicht die Kosten für das elftägige Anmieten des Ersatzfahrzeugs beanspruchen. Nach dem Prognoserisiko schuldet der Schädiger dem Geschädigten nur die Mehrkosten, die ohne eigenes Verschulden des Geschädigten durch die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen entstanden sind.
Dieser Gesichtspunkt kommt nach Ansicht des erkennenden Senats nicht zum Tragen, weil der Kläger die Schadensabwicklung vollständig aus der Hand gegeben hat und somit selbst gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Bei der Beurteilung der Mietwagenkosten ist zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger an den elf Tagen nur 239 km gefahren ist. Abzüglich der einmalig zurückgelegten Strecke von seinem Wohnhaus zur Kfz-Werkstatt ist er damit nur ca. 16 km pro Tag gefahren. Der erkennende Senat geht davon aus, dass ein tägliches Fahrbedürfnis von weniger als 20 km am Tag einen Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Schadensgeringhaltung darstellt. Bei dieser Situation hätte sich dem Kläger aufdrängen müssen, dass Mietwagenkosten von ca. 111 € am Tag bei den geringen fahrtstrecken die voraussichtlichen Taxifahrkosten übersteigen. Hinzu kommt, dass der Kläger bei der Reparatur – zulässig – unter Wahrung seines Integrationsinteresses im Rahmen der 130-Prozentgrenze sein verunfalltes Fahrzeug hat reparieren lassen. Entschließt sich aber der Geschädigte bei einer derartigen Situation zur Reparatur, so muss er die 130-Prozentgrenze beim Anmieten eines Ersatzfahrzeugs reflektieren. Das hat nach Ansicht des erkennenden Senats der Kläger nicht ausreichend getan, weil die von ihm geltend gemachten Reparaturkosten von rund 4.300,-- € und die Mietwagenkosten von ca. 1.230,-- €die 130-prozentgrenze von 5.070,-- € überschreiten. In der Gesamtschau dieser Faktoren ist das Anmieten des Ersatzfahrzeugs durch den Kläger nicht erforderlich gewesen. Ihm ist daher lediglich die Nutzungsausfallentschädigung zuzusprechen, die das Landgericht Bielefeld mit 115,-- € für 5 Tage zu je 23,-- € festgelegt hatte.
[color=#B22222]Fazit und Praxishinweis:[/color] Das Urteil des OLG Hamm vom 23.1.2018 – 7 U 46/17 – ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu betrachten, und zwar hinsichtlich der erforderlichen Mietwagenkosten sowie auch hinsichtlich der 130-Prozent-Abrechnung der Reparaturkosten und bei dem Prognose- und Werkstattrisiko, das bekanntlich der Schädiger zu tragen hat. Der erkennende Senat erkennt dem Geschädigten nur eine tägliche Wegstrecke mit dem Mietfahrzeug von circa 16 Kilometern zu. Tatsächlich hat der Geschädigte – und das ist unstreitig – mit dem Mietfahrzeug an elf Tagen 239 Kilometer zurückgelegt. Das macht pro Tag eine Wegstrecke von durchschnittlich rund 21,73 km aus. Diese Wegstrecke liegt eindeutig über der vom Senat selbst anerkannten Strecke von täglich 20 km, bei der er selbst keinen Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungspflicht gemäß § 254 BGB angenommen hat. Damit ist objektiv keine Verletzung der Schadensgeringhaltungspflicht – anders als es der erkennende Senat sieht – anzunehmen. Welche Fahrten der Geschädigte im Einzelnen durchführt, das ist letztlich seine Sache, denn mit dem Mietfahrzeug stellt er nur die ihm durch das Unfallereignis, für die die Beklagten als Gesamtschuldner haften, genommene Gebrauchsmöglichkeit seines Personenfahrzeugs wieder her. Die Fahrt von der Werkstatt zur Wohnung gehört mit zu der jederzeit möglichen Gebrauchsmöglichkeit. Zum anderen hat der Senat die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Abrechnung der Reparaturkosten im 130-Prozentbereich völlig verkannt. Wie der Senat – zu Recht – angenommen hat, war die von dem Kläger vorgenommene Reparatur seines verunfallten Kraftfahrzeuges unter Wahrung seines Integritätsinteresses im Rahmen der 130-Prozentgrenze zulässig. Das zeigt eindeutig der Vergleich der Zahlen im Gutachten.
Der Gutachter hatte Reparaturkosten von ca. 4.300,-- € ermittelt und einen Wiederbeschaffungswert von 3.900,-- €. Dementsprechend hätte bis zu einem Betrag von 5.070,-- € repariert werden können. Tatsächlich betrugen die Reparaturkosten aber nur rund 4.300,-- €. Damit hat der Kläger im Hinblick auf sein Integritätsinteresse zulässigerweise eine Reparatur seines verunfallten Fahrzeugs in einer qualifizierten Kfz-Werkstatt nach den Angaben des Schadensgutachtens fachgerecht durchführen lassen (vgl. dazu BGH VersR 2010, 363 mit Verweis auf BGHZ 154, 395 und BGHZ 162,161, 170). Bei der Berechnung des 130 %-Betrages über dem Wiederbeschaffungswert kommt es nur auf die Reparaturkosten, nicht zusätzlich noch auf andere Kosten an. Mietwagenkosten haben außen vor zu bleiben, denn diese sind keine Reparaturkosten. Ebenso wenig spielen Abschleppkosten oder Sachverständigenkosten bei der Berechnung des 130-Prozent-Betrages eine Rolle. Zum Dritten hat der erkennende Senat das Prognose- und Werkstattrisiko, das der Schädiger zu tragen hat (vgl. BGHZ 63, 182 ff.), verkannt. Reparaturverzögerungen gehen zu Lasten des Schädigers. Denn mit der Reparaturerteilung verliert der Geschädigte die Einflusssphäre über sein zu reparierendes Fahrzeug. Die Reparaturwerkstatt ist der Erfüllungsgehilfe des Schädigers (BGHZ 63, 182 ff.). Eventuelle Fehler der Werkstatt gehen daher zu Lasten des Schädigers. Dieser hat die Möglichkeit, bei der Werkstatt als seinem Erfüllungsgehilfen Regress zu nehmen. Dass nicht mehr festgestellt werden konnte, wann genau mit der Reparatur begonnen wurde, geht zu Lasten des Schädigers. Mit der Übergabe des zu reparierenden Fahrzeugs an die Werkstatt endet die Einflussmöglichkeit des Geschädigten.